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Mindful Running

Wieso wir beim Joggen keine Musik hören sollten

Ihr steckt in eurem Lauftraining irgendwie fest? Marathonmeisterin und Mentalcoach Hanna Tempelhagen erklärt, wie Achtsamkeit uns dabei hilft, besser zu werden. Und wieso ihr die Kopfhörer zu Hause lassen solltet.

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Hanna Tempelhagen

Hanna Tempelhagen gibt auch in der Schweiz Mindful Running Workshops.

Ruben Elstner
Style: Wie kamen Sie auf die Idee, Achtsamkeit und Laufen zu Mindful Running zu kombinieren?

Hanna Tempelhagen: Nun, ich laufe seit meiner Kindheit – einerseits sehr ambitioniert im Verein und bei Wettkämpfen, andererseits war Laufen damals schon mein Ventil, um abzuschalten. Irgendwann während des Studiums habe ich mit Meditation begonnen. Parallel zur meiner Meditationspraxis bin ich weiterhin gelaufen und hatte dann die Idee, beides zu kombinieren. Gerade auch, weil beides separat auch sehr viel Zeit beansprucht hat. Die Kombi aus beidem lag einfach auf der Hand. Einerseits fing ich an, selbst zu experimentieren, was wie bei mir wirkt, dann habe ich auch recherchiert und gelesen. Heute bin ich Pionierin im deutschsprachigen Raum und freue mich, dass das Thema auf immer mehr Interesse stösst.

Worum geht es bei Mindful Running kurz erklärt?

Wir kombinieren Laufen mit Achtsamkeit. Dabei werden wissenschaftlich fundierte Achtsamkeits- und Körperwahrnehmungsübungen vor, während und nach dem Laufen miteinander verbunden. Die Aufmerksamkeit kann einerseits nach innen auf Körperempfindungen, Gedanken oder Gefühle gelenkt werden, andererseits nach aussen auf die Natur und Umgebung. Das einzigartige Training hat eine ganzheitlich positive Wirkung auf das gesamte Leben. Es fördert die körperliche und mentale Fitness, steigert Energie und Leistungsfähigkeit, reduziert Stress und sorgt insgesamt für eine gesunde Life Balance.

Wie wichtig ist dabei die Atmung?

In der Achtsamkeitspraxis dient der Atem als ein möglicher Fokus oder Ankerpunkt. Wenn die Aufmerksamkeit abschweift und uns das auffällt, dann kehren wir wieder zurück zur Atembeobachtung, ohne daraus ein Problem zu machen. Das Tolle beim Atem: Er ist unser ständiger Begleiter. So kann er auch beim Mindful Running als ein Fokus gesetzt werden. Das braucht jedoch etwas Übung. Gerade am Anfang kann es herausfordernd sein und die Atmung eher aus dem Rhythmus bringen. Stattdessen kann man die Aufmerksamkeit zum Beispiel eher auf die Füsse richten.

Mindful Running Uebung

Im Workshop erlernen Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschiedene Übungen für ein aufmerksamseres Laufen.

Ruben Elstner
Wie unterscheidet sich ein Mindful Run von normalem Jogging?

Ich liebe es einfach, Abwechslung in meine Läufe einzubauen. Das sieht dann so aus, dass ich gern bewusst auf Farben achte oder die Aufmerksamkeit nur auf Geräusche lenke und andere Spielereien. Das ist auch Mindfulness: Entdeckergeist, ausprobieren und schauen, was passiert.

Wirkt sich Mindful Running ähnlich auf die Psyche aus wie Meditation?

Ja, es gibt eine Reihe von Untersuchungen, bei denen gerade bei Langläufern die positiven Wirkungen von Mindfulness festgestellt wurden, vor allem: erhöhte Aufmerksamkeit und Fokussierung, bessere Gedanken- und Emotionssteuerung – und damit bessere Leistungen.

Inwiefern hat sich Ihre eigene Performance durch Mindful Running verbessert?

Ich bin fokussierter beim Training und in Wettkämpfen, ich habe keine wirklich grösseren Verletzungen mehr gehabt, wodurch ich kontinuierlich trainieren kann. Weil sich mein Körperbewusstsein verändert hat, hat sich auch meine Laufhaltung verbessert. Dazu kommt auch ein besseres Gespür für Ruhephasen, die ich mir ohne schlechtes Gewissen nehme. Im Frühjahr diesen Jahres bin ich 2:53:32 auf der Königsdistanz gelaufen und habe mir damit den Deutschen Marathon-Meistertitel in meiner Kategorie geholt.

Viele müssen sich zum Joggen überwinden. Kann man seine Motivation durch Mindful Running verbessern?

Auf jeden Fall, vor allem kann man die Motivation auch auf längere Zeit erhalten. Egal, ob man erst mit dem Laufen beginnt oder im Training für einen Marathon ist: Es gibt Momente und Tage, an denen sich der innere Schweinehund meldet oder sich das Laufen einfach nur mühsam und schwerfällig anfühlt. Da kann es hilfreich sein, sich den Lauf in kleine Abschnitte zu teilen. Auch ich kenne so Tage. Mir hilft es dann, zu sagen «okay, eine Runde um den Block». Wenn ich dann erst einmal raus bin, dann ist die grösste Hürde in der Regel geschafft und es geht dann auch der nächste Kilometer und dann der nächste. Wichtig ist es, sich dafür immer auch entsprechend selbst wertzuschätzen und positiv zuzusprechen. Insbesondere auch, wenn der innere Schweinehund mal gewonnen hat. «Es ist okay und die Welt geht davon nicht unter, es geht gerade ganz vielen Menschen genauso wie mir. Ich bin gut und liebenswert so wie ich bin.»

Wird auch das Laufen selbst entspannter?

Ja, ganz sicher. Ganz bewusst mal die Uhr weglassen, die Wahrnehmung auf Körper, Natur, Umgebung zu lenken, kann entspannend wirken. Allein dass der Fokus immer wieder auf den jetzigen Moment geführt wird und die gedankliche Beschäftigung mit der Vergangenheit und der Zukunft reduziert wird, kann entspannend wirken. Die Achtsamkeitsübungen vorher und nachher sind ebenfalls Elemente, die zu einem entspannten Laufen beitragen.

Hanna Tempelhagen Mindful Running

Wer sich auf das Hier und Jetzt konzentriert, läuft entspannter.

Ruben Elstner
Es wird oft gesagt: Bei einem Marathon läuft der Kopf mit. Hilft Mindful Running dabei, seine Grenzen zu überwinden?

Ja, definitiv. Ich sage immer gern, ich geh jetzt ins «Mental Gym», wenn ich Achtsamkeit übe – sei es vor, während oder nach dem Laufen. Im Marathon tritt irgendwann der Punkt ein, an dem die Ermüdung sehr stark wird, egal wie viel vorher trainiert wurde. Sowohl Körper als auch das Gehirn, welches die Bewegung steuert, sind erschöpft. Es wird einfach anstrengend, weiterzulaufen, und vor allem die Geschwindigkeit beizubehalten. Doch hier im entscheidenden Moment den sprichwörtlichen Hebel umzulegen, sich nicht von Gedanken ablenken zu lassen, wie «die Beine sind so schwer» oder «wie soll ich noch 15 Kilometer weiterlaufen?» und so weiter, wird ja beim Fokussieren in der Achtsamkeitsübung auch geübt. Das ist nichts anderes.

Muss ich bereits Erfahrung mit Meditation haben, um Mindful Running praktizieren zu können?

Nein, Meditationserfahrung ist hilfreich, doch für Mindful Running nicht erforderlich. Denn was geschieht, wenn beim Laufen der Fokus zum Beispiel immer wieder auf das Geräusch der Schritte gelenkt wird? Die Aufmerksamkeit ist dann genau im Moment, in der Gegenwart. Und das ist dann nichts anderes als Meditation in Bewegung.

Darf ich denn beim Mindful Running Musik hören?

Ein klares Nein. Und das heisst nicht, dass ich Musik beim Laufen komplett ausschliesse. Musik ist toll, hat sehr häufig einen motivierenden Charakter und ist deshalb auch bei offiziellen Wettkämpfen nicht erlaubt. Doch was passiert, wenn ich laufe und dabei Musik höre? Meine Aufmerksamkeit ist nicht ganz beim Laufen. Ich lenke mich ab – von etwas, was ich vielleicht nicht wahrnehmen möchte, zum Beispiel, dass es gerade anstrengend ist. Ich fokussiere nicht auf meinen Körper, nehme eventuell nicht wahr, dass ich nicht mehr gesund laufe. Also einfach mal die Musik weglassen. Es kann eine Zeit dauern, bis man sich daran gewöhnt hat. Danach kommt es einem so vor, als ob man immer schon ohne Musik gelaufen wäre.

Weitere Infos zu Mindful Running auf Themindfulspaces.com

Von Marlies Seifert am 17. Juli 2019 - 17:21 Uhr