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Ist Saft wirklich so schlimm wie Cola?

Fruchtsäfte haben ein Imageproblem. Die verbreitete Ansicht: Sie enthalten reichlich Zucker – und stehen damit in puncto Figurfeindlichkeit auf einer Stufe mit Softdrinks. Aktuelle Untersuchungen zeichnen jedoch ein anderes Bild. Orangenjus – gut oder böse? Wir klären auf.

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Ist Saft so schlimm wie Cola

Saft: Fruchtig gesund oder auch nicht besser als süsse Limo?

YudinaEkaterina

Orangensaft enthält pro 100 Milliliter durchschnittlich rund 46 Kalorien – und damit sogar noch etwas mehr als die gleiche Menge an Cola (etwa 38 Kalorien). Grund dafür ist der hohe Zuckeranteil der Frucht. Und der wird umso kritischer betrachtet, wenn man Orangen, aber auch Äpfel, Ananas oder ähnliches in flüssiger Form zu sich nimmt. Im Ganzen verzehrt soll Obst reichlich Vitamine und wertvolle Pflanzenstoffe liefern. Beim Entsaften jedoch verliere es seine Struktur, die den Verdauungstrakt zumindest ein wenig zum Arbeiten gezwungen hätte, und somit auch seine Ballaststoffe. 

Obst: lieber essen als trinken?

Vereinfacht gesagt, was viele im Moment glauben: Fruchtsaft jagt quasi von der Zunge direkt in den Darm und dann ins Blut. Dort lässt er den Blutzuckerspiegel in die Höhe schnellen und regt die Insulinproduktion an. Die Folge: Der nächste Hunger meldet sich. Wer nachgibt, nimmt entsprechend schneller zu, und langfristig erhöht sich so angeblich auch das Risiko auf Diabetes Typ 2. Aber stimmt das wirklich?

Das sagt der Experte

Diplom-Ernährungswissenschaftler Uwe Knop weiss um den schlechten Ruf von Fruchtsäften. Bestätigen will er ihn aber nicht. «Ja, Saft enthält viel Fruchtzucker, teilweise tatsächlich mehr als Cola», räumt er ein. Bei Kirsch- und Traubensaft etwa liege der Zuckergehalt sogar deutlich höher. Aber: Sie liefern zusätzlich zum Zucker, wie Orangen- und andere Fruchtsäfte auch, ein breites Spektrum weiterer Inhaltsstoffe. «Isoliert betrachtet bedeutet der Zuckergehalt also gar nichts.»

Knop ist spezialisiert auf Studien rund um Lebensmittel, ihre Inhaltsstoffe und (vermeintlichen) Effekte auf den Körper. Er weiss: «Es gibt keine evidenzbasiert gesicherten Grenzwerte, ab wie vielen Gläsern Saft ’zu viel’ und damit ’schädlich’ ist.» Was man aber wisse: Dass Säfte tatsächlich keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel haben, da sie primär Fruktose, also Fruchtzucker, liefern. Dieser werde in der Leber und unabhängig von Insulin verstoffwechselt.

Aber, klar: Kalorien sind und bleiben Kalorien. Selbst Knop würde daher nicht leugnen, dass ein dauerhaftes Zuviel Fetteinlagerungen begünstigen kann. Ab wann dieser Punkt erreicht ist, hänge jedoch vom individuellen Lebensstil ab und davon, welche Nährwerte weitere Speisen und Getränke ins Kalorienkonto einzahlen. 

Lust ist auch ein Faktor

Knop gibt zu bedenken, dass es Menschen manchmal einfach lieber ist, ein Glas Saft zu trinken, «weil er ihnen schmeckt und besser verdaulich ist als die Frucht mit ihrem unverdauliche Ballast und dem integrierten Trester», sagt er. Vitamine, Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe und intuitiv gewünschte Energie seien schnell verfügbar. Und das könne wohl nicht so schlecht sein. 

Dass Orangensaft mit Süssgetränken auf eine Stufe gestellt wird, beschäftigt Wissenschaftler der Universität Hohenheim schon länger. Und tatsächlich konnte Prof. Dr. Reinhold Carle, der hier in der Forschung und als Hochschullehrer tätig ist, bereits 2015 das Gegenteil belegen: dass die Inhaltsstoffe aus Orangen vom Körper sogar besser verwertet werden können wenn man sie in Saft-Form aufnimmt. «In Fruchtsäften ist eine geringere Menge an Ballaststoffen enthalten als in der jeweiligen Frucht», erklärt Carle. «Daher werden Vitamine, Mineralstoffe und Polyphenole leichter aus Säften als aus der Frucht resorbiert.»

Den Beweis lieferten Prof. Carle und sein Doktorand Julian Aschoff mit einer Human-Studie. 12 Probanden wurden per Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt und erhielten jeweils – zusätzlich zu einem standardisierten Frühstück – eine ganze Orange oder ein Glas Saft. Daraufhin wurde ihnen im Tagesverlauf acht Mal Blut abgenommen und der Carotinoid-Gehalt bestimmt. Nach zwei Wochen wechselten die Frühstücksvarianten der beiden Gruppen. Das Ergebnis: Aus Orangensaft wurde etwa doppelt so viel Carotinoid aufgenommen wie aus der ganzen Frucht. 

Orangensaft kann sogar Gicht-Risiko senken

Prof. Carle geht sogar noch einen Schritt weiter. Seiner Überzeugung nach haben die Orangensaft-Nährstoffe einen messbar positiven Effekt – und zwar auf den Harnsäurespiegel. Das ist insbesondere interessant, weil zuckerhaltige Getränke den Harnsäurespiegel erhöhen und eine Erkrankung an Gicht mitverursachen können sollen. Auch hier soll die gute Bioverfügbarkeit der Früchte – genauer gesagt des enthaltenen Vitamin C, das die Harnsäure-Ausscheidung fördern soll – eine große Rolle gespielt haben. Harnsäureablagerungen (etwa in den Gelenken) sind das, was hinter den berühmten Beschwerden von Gicht-Anfällen steckt.

Ein weiterer wissenswerter Aspekt dieser jüngeren Untersuchung aus dem Juni 2018: Die Probanden hatten nicht zugenommen, wenn sie die drei täglichen Gläser Orangensaft zu den Mahlzeiten getrunken hatten. In einem anderen Teil der Studie hingegen, als der Orangensaft zwischendurch konsumiert wurde, war ihr Körperfett leicht angestiegen. «Als sie den Orangensaft mit der Mahlzeit getrunken haben, waren unsere Probanden offensichtlich länger gesättigt und haben zwischendurch weniger Snacks konsumiert», folgert Prof. Carle.

Die Menge macht das Gift

«Man könnte anstelle eines Orangensaftes auch andere Frucht- oder Gemüsesäfte trinken. Sie enthalten ebenfalls Vitamin C und wertvolle Polyphenole», sagt uns der Wissenschaftler, «Mango- und Rüeblisaft zudem Carotinoide.» Das stehe auch im Einklang mit der 5-am-Tag-Empfehlung. «Eine tägliche Portion Obst oder Gemüse lässt sich mit einem Glas Frucht- oder Gemüsesaft gut ersetzen», findet er.

Weder Teufelszeug noch Zaubertrank, könnte man abschliessend sagen. Entsprechend gilt auch: Wie so oft macht die Menge das Gift. In Massen genossen kann Orangensaft einen positiven Effekt zeigen – und selbst wenn das nur bedeutet, dass er euch gut schmeckt. Täglich ganze Liter davon zu trinken, ist deshalb trotzdem keine gute Idee. Zu viel des Guten ist eben immer noch genau das: zu viel.

Von Laura Pomer am 2. August 2019 - 08:00 Uhr