Prof. Dr. Steve Stiehler: Ich meine damit vor allem, dass Männerfreundschaften immer noch das Klischee anhaftet, dass sie keine richtigen Freundschaften seien. Dies liegt vor allem daran, dass Beziehungen einer der wenigen Bereiche sind, die weiblich definiert sind. Und in dieser Definition besteht eine gute Freundschaft daraus, dass man zusammensitzt und Intimes austauscht. Auf Männerfreundschaften trifft dies auf den ersten Blick vielleicht nicht zu. Da heisst es dann schnell: Die trinken doch nur zusammen Bier. Was soll das bieten?
In erster Linie einen Schutzraum, in dem Männer einfach so sein können, wie sie sind. Ohne dass sie eine bestimmte Rolle einnehmen oder Erwartungen erfüllen müssen. In diesem gemeinsam geteilten Erfahrungsraum erhalten Männer Verständnis und vorbehaltlose Bestätigung, was sehr wertvoll ist.
Zentraler Gegenstand der Männerfreundschaft ist das Miteinander, gemeinsam etwas zu unternehmen. Das ist enorm erholsam und hilft dabei, Stress loszuwerden. Auch beim Rumschrauben am Motorrad oder beim Badminton entsteht Nähe. Ausserdem findet durchaus ein Austausch statt, aber nicht gemäss dem weiblichen Beziehungsmassstab. Die Selbstoffenbarung ist indirekter als bei den Frauen. Man spricht zum Beispiel normalerweise nicht offen über sexuelle Probleme mit der Partnerin, aber gibt vielleicht Hinweise in diese Richtung und weiss, dass man verstanden wird. Das hat einen emotionalen Gehalt, ohne dass der Mann seine Gefühle äussern muss. Wir brauchen keine langen Gespräche, um zu wissen, dass wir im Unterstützungsfall Unterstützung erhalten.
Nein. Zumindest so lange nicht, bis Männer in eine echte Krise geraten und ihrer Hilflosigkeit keinen Ausdruck verleihen können. Männer müssen von klein auf Probleme selber lösen. Nehmen wir zum Beispiel die Trennung von der Partnerin. Oft suchen sich Männer erst im Nachhinein Bestätigung von ihren Freunden. Bei der Problembearbeitung innerhalb der Freundschaft gibt es auf jeden Fall noch grosses Potenzial.
Zunächst einmal ist es überhaupt nicht so, dass Männer nicht über ihre Gefühle sprechen wollen. Aber die meisten können es schlichtweg nicht. Sie lernen nie, zu beschreiben wie sie sich fühlen. Frauen hingegen reflektieren schon seit dem Kindesalter eigene und fremde Beziehungen. Durch gemischt-geschlechtliche Freundschaften, die immer häufiger vorkommen, lernen auch Männer, dass sie sich selbst offenbaren können und damit auf eine positive Resonanz stossen.
Den Vätern kommt eine wichtige Rolle zu. Wenn Jungen erfahren könnten, dass die männliche Bezugsperson auch in Schule oder der Kita in der Lage ist, Gefühle zu äussern, dann wäre das ein Riesenschritt. In unserem Kulturkreis ist das Zeigen von Gefühlen für Männer immer noch ein Tabu. Ausser man verliert gerade ein Fussballspiel. Da sind die Rollenbilder noch sehr klassisch.
Wenn man sich die Zukunftsperspektiven anschaut, dann gibt es zwei Bereiche, in denen sich Veränderungen zeigen. Einerseits gibt es immer weniger klassische Jungs-Cliquen. Freundschaften werden über verschiedene Geschlechter und auch Nationalitäten hinweg geknüpft. Das verändert die Beziehungen. Andererseits kommt Freundschaften heute ein höherer Stellenwert zu. Früher war es oft so, dass sich nach einer Heirat die Frau um die Beziehungspflege kümmerte. Viele Männer sind dazu nicht mehr bereit. Besonders in grossen Städten, wo viele Singles leben, werden Freundschaften zum Familienersatz. Und sie haben oftmals eine grössere Kontinuität als Partnerschaften. Diese Dauerhaftigkeit spielt eine wichtige Rolle.
Männerfreundschaften sind nicht weniger innig, sie funktionieren einfach ganz anders. Wenn man in der Beziehung mehr Verständnis dafür aufbringt und begreift, dass der Jungsabend durchaus seine Funktion hat, auch wenn dabei keine Probleme durchgekaut werden, dann ist schon viel geholfen. Und die Partnerinnen fühlen sich weniger genötigt durch Sätze wie: «Willst du dich nicht mal wieder bei deinem Freund melden?», übergriffig zu werden.