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  4. Reizdarm: Ein offenes interview mit Kackfluencerin Kiki

«Kackfluencerin» will enttabuisieren

Jetzt sprechen wir über Reizdarm und Blähungen

Kiki leidet seit ihrem 15. Lebensjahr unter einem Reizdarm. Es ist kein «Glitzer und Röschen machen», sondern ein weit verbreitetes Problem – ganz unabhängig vom Geschlecht. Im Interview erklärt die 24-Jährige, wie sie das Thema «Stuhlgang, Kacken und Pupsen» durch einen offenen Umgang normalisieren will und warum wir auf dem WC von Gleichberechtigung noch weit entfernt sind. Toilettenpapier ready?

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kiki

Blähbauch und Durchfall sind für Kiki Alltag, aber wir kennen das doch hin und wieder auch? Jetzt sprechen wir darüber. 

instagram/@kikidoyouloveme

«Überall wo ich hinkomme, muss ich erstmal scheissen», erzählt Kiki. Auch damals, als sie beim Notar war. Unangenehm. Es ist eine ihrer vielen witzigen Geschichten aus ihren Instagram-Stories. Auf ihrem Profil @kikidoyouloveme teilt sie ihre sogenannten «Kackgeschichten» mit fast 50’000 Followern. Doch bevor sie begonnen hat, sich dazu zu bekennen, war ihre Krankheit, der Reizdarm, ihr persönliches Geheimnis, für das sie sich geschämt hat. Nun versucht die Hamburgerin, Menschen zu inspirieren, und möchte das Thema als «Kackfluencerin» enttabuisieren. Kiki weiss: «Jedes Lebewesen auf diesem Planeten muss kacken, also lasst uns offen darüber sprechen».

Oft muss Kiki innerhalb einer Minute so schnell wie möglich eine Toilette finden, weil sich der Reizdarm wieder meldet. Bauchkrämpfe und Durchfall gehören mittlerweile zum Alltag. Mit 15 Jahren, während eines Auslandsjahres in Amerika, erkrankte Kiki an einem Magen-Darm-Infekt. Der zusätzliche Stress führte zum Reizdarm. Als wenn das nicht schon genug wäre, entwickelten sich im Zuge dessen Panikattacken, mit denen die Influencerin bis heute zu kämpfen hat. In einem Gespräch erzählt sie uns, wie eingeschränkt ihr Leben durch den Reizdarm ist und wie sie ihre «Reizdarm Community» auf Social Media bewegen will.

Style: Was genau ist ein Reizdarm?
Kiki: Es gibt unterschiedliche Arten. Auch wie es dazu kommt, unterscheidet sich von Fall zu Fall. Meistens sind die Auslöser Stress oder ein Magen-Darm-Infekt, durch den dann alles aus der Balance gerät. Die typischen Symptome sind Durchfall und Verstopfung. Ich persönlich leide meistens unter Durchfall, der mich oft sehr schlapp macht. Manchmal habe ich auch einen Blähbauch oder allgemein Darmbeschwerden.

Wie stark bist du wegen deines Darms eingeschränkt? 
Sehr. Alltagssituationen und alles, was meinen Freunden Spass macht und ich eigentlich auch toll finden würde – wie ein Coiffeurbesuch, Bahn und Auto fahren, Einkaufen, Essen gehen, Feiern im Club oder Alkohol trinken – ist sehr schwierig und anstrengend. Vor jeder Aktivität ausserhalb meiner Wohnung gehe ich etwa fünf Mal aufs WC, weil mein Bauch merkt, da kommt Aufregung und Stress. Ich habe immer Angst, dass etwas schief geht, auch wenn ich nur kurz mit meinem Hund Gassi gehe. Man hat die Darmbeschwerden immer im Hinterkopf und überlegt sich, wo sich die nächste Toilette befindet. Ich vertraue meinem Körper einfach nicht mehr richtig.

Du nennst dich auf Instagram «Kackfluencerin», was genau verstehst du darunter? 
Die Idee stammt von meiner Managerin. Mir war es grundsätzlich wichtig, dass alles rund um die Verdauung auf meinem ganzen Profil enttabuisiert wird. Ich möchte Leute so «influencen», als dazu inspirieren, dass sie sich trauen, über Darmbeschwerden zu sprechen. 

Wie kamst du darauf, so offen mit dem Thema umzugehen?
Ich habe mir früher immer Notlügen einfallen lassen, wenn ich wegen meines Darms wieder irgendein Treffen absagen musste. Irgendwann haben mir meine Freundinnen versichert, dass sie Bescheid wissen und dass es aufgrund meiner Krankheit völlig okay sei. Das hat mir geholfen, mich zu öffnen. Viele Leute kamen danach zu mir und haben mir erzählt, dass sie auch darunter leiden und froh sind, dass endlich jemand mal darüber spricht. Es war ein grosser Schritt für mich, so öffentlich mit dem Thema umzugehen, weil somit alle Bescheid wussten: auch Arbeitskolleg*innen oder Schulkamerad*innen. Ich kann Menschen so mitgeben, dass sie nicht alleine sind – und das war mir am wichtigsten.

Warum findest du, dass es kein Tabuthema mehr sein sollte? 
Ich weiss genau, wie stark das Ganze Menschen beeinflusst. Als ich meinen Freund kennenlernte, habe ich in den ersten zwei Monaten extrem viel Gewicht abgenommen, weil ich nicht mehr essen wollte, um die Toilette zu vermeiden. Sobald er ging, bin ich immer aufs Klo gerannt. Diese Qualen sind aber überhaupt nicht nötig. Wir sind alle Menschen und keine Maschinen. Man sollte offener mit dem Thema umgehen, weil es einfach normal ist. Ist das angekommen, ist es auch nicht mehr so peinlich, wenn plötzlich mal etwas rausrutscht.

«Kacken, Furzen und Durchfall» scheint nicht unbedingt genderneutral zu sein... Für Mädchen gehört sich das nicht. Sagt man.
Ja, Jungs erzählen eher mal, dass sie Durchfall haben oder furzen ein bisschen rum. Frauen ist das peinlich. Ich erhalte viele negative Nachrichten von Männern, die es eklig finden, wenn Frauen darüber sprechen und beanstanden, dass sich das nicht gehöre. Mich nervt es, denn es wollen alle überall Gleichberechtigung, aber bei diesem Thema sind immer noch so viele Frauen zurückhaltend  – und genau das möchte ich ändern.

Gerade beim Daten oder in einer Beziehung kann «Kacken und Furzen» schnell heikel werden. Wie geht dein Freund damit um?
Mein Freund Fabio hat mich bis jetzt in jeder Lebensphase gesehen. Bei ganz extremen Schmerzen hat er mich sogar schon auf der Toilette gehalten und so etwas verbindet tatsächlich. Er ist definitiv mein Safe Space und vermittelt mir niemals ein schlechtes Gefühl, wenn es mir nicht gut geht.

Gab es auch schon mal peinliche oder unangenehmen Ereignisse aufgrund deiner Krankheit, über die du jetzt lachen kannst?
Es gibt eine sehr witzige Story aus der Anfangsphase mit meinem Freund, die uns sehr zusammengeschweisst hat: Ich habe mich zum Kanufahren mit seinen Eltern und etwa 30 anderen Leuten überwunden. Das ist normalerweise immer stressig für mich, weil ich weiss, dass keine Toilette in der Nähe ist. Irgendwann war es soweit: Ich musste. Wir haben am Flussufer eine Stelle gesucht, es war überall steil, wir sind irgendwo hochgeklettert und überall wuchsen Brennnesseln. Er hat mir den Rücken zugedreht und gesagt, ich solle machen, aber ich konnte natürlich nicht, weil er nur knapp zwei Meter von mir entfernt stand. Er hat sich die Ohren zugehalten und angefangen, zu singen. So hat es geklappt und ich konnte mein Geschäft verrichten. Taschentücher hatte aber niemand dabei... Er hat mir einfach seine Socke zum Abwischen gegeben und ab diesem Moment war das Eis zwischen uns definitiv gebrochen.

Wie gehst du mit solchen Situationen um? Bleibt da nur Lachen? Überspielen?
Ich enttabuisiere mit Humor. Kacken ist das Lustigste der Welt. Ich könnte mich über jede Kack-Story schlapp lachen.

Auf deinem Instagram-Account ist zu sehen, dass dich auch deine Hündin wegen ihres Stuhlgangs schon mal in eine unangenehme Situationen gebracht hat, richtig?
Ja, sie ist noch sehr jung und muss noch ein bisschen erzogen werden. Als sie in den Baumarkt gemacht hat, habe ich auch gedacht: «Hätte ich sein können.»

Zu Abschluss: Was willst du uns mit auf den Weg geben?
Man soll offen über seine Verdauung reden dürfen. Männer sollten Frauen kein schlechtes Gefühl geben, wenn sie pupsen. Es kann nicht sein, dass ein Mann darüber sprechen darf und bei der Frau ist es ekelhaft. Da muss nichts geschönt werden. Alle Menschen sollten ihre Probleme klar formulieren, egal ob es der Stuhlgang, Migräne oder Neurodermitis ist. Wir sind Menschen mit Ecken und Kanten und keine Roboter. Was ich mir wünsche: mehr Reality und ein Recht auf Imperfektion! Weniger Bilder mit Filter und keine «fake happy world»!

Von Anja Schäublin am 2. Juni 2022 - 16:00 Uhr