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Warum wir uns bei Psycho-Tests selbst belügen

Ob in einer Zeitschrift oder im Internet: Überall finden wir Persönlichkeits-Tests, um unser «Ich» besser kennenzulernen. Warum füllen wir die Fragebögen aus und was bringen sie wirklich? Ein Selbstversuch.

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Frau liest Magazin
Getty Images

«Mach den Test!», sagt eine Freundin – etwas zu laut. Ich schaue erschrocken. Nein, es handelt sich nicht um einen Schwangerschaftstest. Sondern um den Persönlichkeitstest «16 Personalities». «Ich weiss, was du bist!», sagt sie. Was ich bin? Soll dieser Fragebogen mir im Ernst sagen, wie ich mich verhalte und wie ich auf andere wirke? Richtig, das will er. Die Neugier packt mich. Mal schauen, ob er Recht hat. Persönlichkeitspsychologe Willibald Ruch ist nicht überrascht über meine Neugier: «Auch wenn die Menschen wissen, dass die Fragebögen nicht seriös sind, wollen sie etwas über sich selbst erfahren und sich dabei unterhalten.» Von standardisierten Tests, die von Wissenschaftlern in einem Labor durchgeführt werden, ist hier nicht die Rede. Gemeint sind Psychotests, wie wir sie zuhauf im Internet und in Magazinen finden – und nicht selten auch tatsächlich ausfüllen.

Sorry, kann ich nicht einfach beides sein?

Erste Aussage des Fragebogens: «Es fällt Ihnen schwer, sich anderen Menschen vorzustellen.» Sieben Antwortstufen. Von «Stimmt voll und ganz» zu «Stimmt überhaupt nicht». Schon bin ich überfordert. Bei der ersten Frage! Ob es mir schwerfällt? Ich schätze mich als schüchtern ein. Das ja. Trotzdem fällt es mir nicht schwer, mich anderen vorzustellen. Früher vielleicht. Heute nicht. Hm. Ich klicke auf die vorletzte Abstufung von «Stimmt nicht». Wenn das so weitergeht, dauert der Test nicht 12 Minuten, sondern zwei Stunden.

Vielleicht hätten meine Freunde anders (oder treffender) geantwortet. Ruch meint: «Die Person, die den Test ausfüllt, kann natürlich ihre Antworten steuern.» Vor allem wenn wir wissen, welches Ziel der Test beabsichtigt. Hier ist also die Absicht, meine Persönlichkeit zu ermitteln. «Je nachdem, welches Bild Sie anstreben – Ihr persönliches Ideal oder ein sozial erwünschtes Bild – antworten Sie entsprechend.» Wir belügen uns also ein Stück weit selbst und verfälschen das Resultat. 

Nächste Aussage: «Organisiert zu sein ist Ihnen wichtiger, als anpassungsfähig zu sein.» Schwierig. Organisiert bin ich auf jeden Fall. Anpassungsfähig auch. Aber was ist mir wichtiger? Sorry, kann ich nicht einfach beides sein? Und schon wieder weiss ich nicht mehr weiter. Ich kreuze mal die Mitte an.Offensichtlich bin ich mir unsicher. «Deshalb haben Sie wohl die Mitte angekreuzt», so Ruch. «Vielleicht wissen Sie da weniger über sich Bescheid oder sie haben kein festes Bild vor Augen.»

Wir suchen Bestätigung

Aussage Nr. 12 von 60: «Ihre Umgebung daheim und am Arbeitsplatz ist ziemlich ordentlich.» Ja ist sie. Meine Mutter würde da vielleicht etwas anderes behaupten. Aber wenn ich daran denke, wie das «Puff» meiner Freunde aussieht, bin ich ganz sicher auf der ordentlichen Seite. Ein klares «Stimmt». Das war einfach. Hat da jemand unsicher gesagt?

Mein Testergebnis: «Du bist ein Konsul.» Was das ist? «Im Schulsport wirkt der Konsul als Cheerleader und Quarterback, gibt den Ton an, tritt ins Rampenlicht und führt sein Team zu Sieg und Erfolg.» Ich Cheerleader? Haha, no way! «Später im Leben finden Konsuln weiterhin Freude daran, ihre geliebten Menschen und Freunde zu unterstützen, gesellschaftliche Veranstaltungen zu organisieren und ihr Bestes dazu beizutragen, dass alle zufrieden sind.» Okay, diesen Abschnitt kann ich unterschreiben.

Und jetzt? «Das Testergebnis ist eine Zusammenfassung von den von Ihnen beantworten Fragen. Einfach in anderen Worten. Also sollte das Ergebnis nicht allzu überraschend sein», sagt Ruch. «Währenddem Sie ihr Ergebnis durchlesen, suchen Sie nach Bestätigung, ob Sie in der richtigen Kategorie gelandet sind und ob diese Sie gut beschreibt.»

Schubladen geben uns Orientierung

Also hab ich mich jetzt eigentlich selbst in eine Schublade gesteckt. Und schau, ob sie passt... Wieso? Ruch: «Um die Welt, die Menschen und sich selbst zu verstehen, helfen manchmal Konstruktsysteme, um uns zu orientieren.»

Ja, gut. Meine Freundin hat sich übrigens geirrt. Ich bin nicht die Persönlichkeit, die sie dachte. Ha! Was das gewesen wäre? Mediator. «Mediatoren gelten zumeist als ruhig, zurückhaltend oder sogar schüchtern, besitzen aber eine Leidenschaft und innere Flamme, die hell leuchten kann», so die Webseite zum Test «16 Personalities». Versteh schon, wieso sie das ahnte. Davon habe ich sicher etwas.

Also ist manchmal eine Schublade nicht genug. Ein Schränkli mit ein paar Fächern – vielleicht ist das eher meine Persönlichkeit. 

Von Pauline Broccard am 5. April 2019 - 17:36 Uhr