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Mutter spricht über Postpartale Depression

«Ich hatte Angst, dem Kind etwas anzutun»

Die erste Geburt löste bei Sabrina H. eine Krise aus. Die Mutter erzählt, wie sie die schwere Zeit durchlebte. Und schliesslich neuen Mut fasste für eine zweite Schwangerschaft.

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postpartale depression

Wenn die Bindung zum Baby fehlt, braucht eine Mutter ganz schnell Hilfe – auch um die gesunde Entwicklung des Kindes nicht zu gefährden. (Symbolbild)

Getty Images

Sabrina H*, vor fünf Jahren kam ihr erstes Kind zur Welt, danach erlitten Sie eine Postpartale Depression. Wie äusserte sich diese?
Ich hatte eine 48-stündige Horror-Geburt, und als mein Sohn schliesslich auf die Welt kam, war es kein schöner Moment, ich war einfach nur noch erschöpft. Irgendwas war während der Geburt passiert. Als sie mir mein Kind auf den Bauch legten, wollte ich nichts davon wissen, und doch wollte ich vor der Gesellschaft nicht versagen. Zum Glück hatte mein Mann sofort eine extreme Bindung zum Baby.

Wie ging es weiter?
Im Spital sagten sie mir, ich müsste die Geburt nun hinter mir lassen. Aber das konnte ich einfach nicht. Mein Mann, der die erste Woche zuhause war, sagte mir täglich: «Werde wieder Sabrina, komm wieder zu dir.» Auch ich wusste, da stimmt etwas nicht. Manchmal weinte ich den ganzen Tag. Als er wieder arbeiten ging, war es der Horror für mich. Ich erlitt Panikattacken, hatte Angst, dem Kind etwas anzutun, und hatte Suizidgedanken. Da handelte meine Hebamme sofort und buchte einen Termin bei einer Psychiaterin der Sprechstunde Mutterglück.

Wann war das?
Das war schon drei oder vier Wochen nach der Geburt. Weil die Depression bei mir nicht schleichend kam, sondern wie eine Bombe einschlug, wurde ich gleich in die Therapie verwiesen.

Wie hat man ihnen geholfen?
Mit Reden und Medikamenten, letztere halfen mir innert kürzester Zeit. Und übrigens kann man trotzdem weiterhin stillen. Die Fachleute sagten mir immer wieder, ich sei nicht schuld, und erklärten mir, warum das passiert ist. So konnte ich mich langsam beruhigen. Nach einem halben Jahr setzte ich die Medikamente ab, was einer relativ kurzen Behandlungsdauer entspricht. Die Gesprächstherapie bei einem Psychiater dauerte noch ein halbes Jahr länger. Sie half mir, dass es mir wieder besser ging und ich so eine Bindung zum Kind aufbauen konnte. Sich dann verzeihen zu können, ist noch ein längerer Prozess. Das kann erst gelingen, wenn man die Gründe für die Depression versteht. Bei mir war dies das Geburtstrauma.

Wie reagierte ihr Umfeld?
Ich bekam viel Hilfe und Unterstützung. Manchen fiel es schwer, darüber zu sprechen, andere Mütter von Neugeborenen konnten dank meinem Beispiel ihre Situation besser einordnen und nahmen sich ebenfalls psychologische Hilfe. Es ist erstaunlich, wie viele Mütter von ähnlichen Problemen erzählen, wenn sie meine Geschichte hören. In unserer Kultur ist eine Mutter halt allein mit dem Baby, das macht es doppelt schwierig, wenn es einem nicht gut geht.

Was tat ihnen in dieser Zeit besonders gut?
Freie Zeit für mich zu haben. Ich habe meinen Sohn oft abgegeben. So konnte ich Distanz schaffen von den schlechten Erlebnissen und mich darauf freuen, ihn am Abend wieder in die Arme zu schliessen. Das empfahlen mir die Fachleute immer wieder: «Geben sie ihr Kind ab und schlafen sie.» Bei meiner Familie wusste ich meinen Sohn zum Glück in guten Händen.

Übermüdete Mutter schläft auf Sofa mit Teddy ihres Kindes

Viel schlafen ist für Mütter mit Neugeborenen wichtig, ganz besonders, wenn sie an depressiven Symptomen leiden.

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Ab wann konnten sie ihr Kind geniessen?
Etwa nach einem Jahr. Die Babyzeit empfand ich als total anstrengend. Weil ich nicht entspannt war, war es mein Sohn natürlich auch nicht. Er war eigentlich ein Sommerbaby. Aber für mich war es ein Jahr lang kalter, strenger Winter. In der Anfangszeit hatte ich keinen einzigen Sonnentag wahrgenommen.

Dennoch fassten sie neuen Mut und entschieden sich für ein weiteres Kind, das zwei Jahre später auf die Welt kam. Hatten sie Angst, das Ganze könnte sich wiederholen?
Keine Sekunde. Ich wusste jetzt, was auf mich zukommt. Wie sehr es hilft, während der Geburt selbstbestimmend zu sein. Und warum ich beim ersten Kind so gelitten habe. Mir war es wichtig, nochmals natürlich gebären zu können.

Haben sie sich auf die zweite Geburt speziell vorbereitet?
Ich hatte nochmals Gespräche bei meinem Psychiater, wie er es mir für eine allfällige weitere Schwangerschaft empfohlen hatte. Und bei der Geburtsanmeldung im Spital erwähnte ich, dass ich eine postpartale Depression hatte. Im Vorfeld und unter der Geburt gab ich diesmal klare Anweisungen, was ich will und was nicht. Ich hatte schliesslich eine super Geburt mit meiner Tochter. Als ich sie unter Freudentränen zum ersten Mal in den Armen hielt, tat es mir wahnsinnig leid für meinen Sohn, dass ich diesen Moment mit ihm nicht gehabt hatte. Mit ihm musste diese Bindung wachsen, sie war nicht selbstverständlich, von Natur aus gegeben. Irgendwann werde ich das vielleicht noch mit ihm besprechen. Ich glaube, das Geburtserlebnis ist etwas ganz Wichtiges.

*Sabrina H. (Name von der Redaktion geändert) ist Mutter eines fünfjährigen Sohnes und einer dreijährigen Tochter. Nach der ersten Geburt erlitt sie eine postpartale Depression. Wollt ihr mithelfen, dass allen Frauen mit postpartaler Depression so schnell geholfen wird wie Sabrina, dann macht mit bei der Studie der Universität Zürich.

Von Christa Hürlimann am 15. Oktober 2019 - 19:00 Uhr, aktualisiert 27. Juli 2020 - 17:00 Uhr