Die Küchenablage in der Wohnung von Olivier Borer (41) in der Nähe von Zürich quillt über vor Glückwunschkarten. Die Freude über die Geburt seines kleinen Sohnes ist riesig. Naël Yunus. Dieses so unwahrscheinliche Baby. Dieses so unwahrscheinliche Glück.
Olivier Borer wusste immer, dass er Vater werden möchte
Bereits als Kind weiss der heutige SRF-Sportmoderator Borer, dass er einmal eine eigene Familie möchte. Im Teenageralter merkt er, dass ihn Männer anziehen. Lange hadert er mit seiner Homosexualität – nicht zuletzt deswegen, weil sie seinen Traum, dereinst Kinder zu haben, zu zerstören scheint.
Mehr als zwanzig Jahre später beginnt der Traum wahr zu werden – mit einer spezialisierten Klinik in den USA, mit deren Hilfe Olivier und sein Mann eine Eizellenspenderin aussuchen. «Total absurd eigentlich», meint Olivier lachend. Aufs Aussehen achten sie weniger. «Aber auf Ausbildung, Lebenseinstellung, Lebenssituation.»
Olivier Borers Leihmuttervertrag hat 30 Seiten
Vorsichtig träufelt sich Olivier warme Milch aufs Handgelenk und reicht den Schoppen seinem Mann, der ihn mit dem Baby auf dem Arm entgegennimmt. Die beiden Väter sind bereits ein eingespieltes Team. «Wir machen beide alles. Das funktioniert super.» Kennengelernt haben sie sich vor 21 Jahren im Ausgang. 2016 lassen sie ihre Partnerschaft eintragen, vergangenen September heiraten sie. Olivier Borers Mann ist Lehrer und will sich nicht in der Öffentlichkeit exponieren. Über Kinder sprechen sie bereits beim ersten Date. «Aber mehr als Wunsch, nicht als reale Möglichkeit», sagt Olivier.
Dem Wunsch kommt erst mal Covid-19 in die Quere. Es dauert lange, bis die Spermien des Paares in die USA geschickt werden können. Die erste Befruchtung klappt nicht, es wird eine neue Eizellenspenderin gesucht. Parallel dazu beginnen Olivier und sein Mann in diversen Videocalls eine Beziehung zu einer möglichen Leihmutter im US-Bundesstaat Vermont aufzubauen. «Das ist so eine Art Matching-Verfahren, bis beide Ja sagen», erklärt er. Es folgt ein 30-seitiges Vertragswerk, ausgehandelt von zwei Anwälten, das alles bis ins kleinste Detail regelt.
Baba oder Papi, von beiden ist Naëls Vater?
Naëls Hunger ist gestillt, «Baba», so bezeichnet sich Oliviers Mann, reicht den Kleinen seinem «Papi». Der Moderator betrachtet das kleine Wesen in seinem Arm. «Was ich für meinen Sohn empfinde, ist unvergleichlich.»
Dabei gibt es viele Kinder in Olivier Borers Leben. Er ist vierfacher Götti, zweifacher Onkel und hat einen viel jüngeren Halbbruder. Mit der Kinderlosigkeit hat er sich abgefunden, denkt er. Aber dann ist da dieser Moment, als er seine damals einjährige Nichte ins Bett bringt. «Sie schaute mich mit diesen grossen Augen an. Und der Kinderwunsch meldete sich mit einer nie da gewesenen Wucht zurück.»
Aus dem Wunsch entsteht ein Leben, als der Leihmutter in den USA zwei befruchtete Eizellen der Spenderin eingesetzt werden – in der leisen Hoffnung, dass es Zwillinge gibt, von denen je einer der beiden Männer der biologische Vater ist. Es entwickelt sich allerdings nur ein Embryo. Wer von ihnen Naëls biologischer Vater ist, wissen Olivier und sein Mann selbst noch nicht. Der Vaterschaftstest, den die Schweizer Behörden verlangen, steht noch aus.
So viel kostete die Leihmutterschaft
Im Hause Borer (Naël trägt aus praktischen Gründen Oliviers Nachnamen, er ist besser auszusprechen) ist ein Spaziergang angesagt. Ein Leben ohne ihren «kleinen Pinguin» können sich sein Papi und sein Baba nicht mehr vorstellen.
Kaum zu glauben, dass sie sich nach ersten Erkundigungen über einen möglichen Weg gegen ihn entscheiden. «Zu kompliziert, zu aufwendig, zu teuer», so Olivier Borer. Dann lernen er und sein Mann ein Männerpaar mit drei Kindern kennen, das ihnen den Weg zum Nachwuchs zeigt. Sie beschliessen, den gleichen in Angriff zu nehmen. Er dauert schliesslich fünf Jahre und kostet sie «einen tiefen sechsstelligen Betrag».
Olivier Borer war bei der Geburt dabei
Dass sein Traumbaby Tausende Kilometer entfernt im Bauch einer ihnen bis dahin fast unbekannten Frau heranwächst, ist für Olivier allerdings oft schwer auszuhalten. Vergangenen Sommer fliegen er und sein Mann nach Vermont und lernen die Leihmutter und deren Familie kennen. «Es entwickelte sich eine richtige Freundschaft zwischen uns.» Schön, denn für Olivier ist klar, dass sie den Kontakt halten möchten. Naël soll dereinst wissen, woher er kommt. Und auch seine biologischen Wurzeln kennen. Üblicherweise findet die Eizellenspende anonym statt, Naëls biologische Mutter hat aber eingewilligt, die kleine Familie zu treffen und in Kontakt mit ihr zu bleiben. So wird Naël dann irgendwann erfahren, dass er zwei blutsverwandte Halbgeschwister in Dänemark hat.
Zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin reisen Olivier und sein Mann erneut in die USA. Bei Naëls natürlicher Geburt am 11. November 2022 in Burlington sind sie dabei – alles ist genau geregelt, etwa wer die Nabelschnur durchschneidet oder das Neugeborene zuerst halten darf. «Trotzdem hat es sich natürlich angefühlt. Ein unglaubliches Erlebnis!» Drei Wochen üben sie das Familienleben gemeinsam mit Oliviers Mutter in den USA. Als Naël seinen Pass hat – mit der Geburt dort ist er automatisch US-Bürger –, reist die Familie nach Hause. Sobald klar ist, wer sein Vater ist, wird der Kleine einen Schweizer Pass erhalten. Der nicht biologische Papa kann ihn in einem Jahr adoptieren.
Olivier Borer nimmt eine der Glückwunschkarten in die Hand, liest sie mit einem Lächeln. Damit, dass nicht alle Reaktionen positiv sein würden, hat er gerechnet. Trotzdem treffen ihn Zuschriften wie «Gott wird euch bestrafen» oder «diese Schwuchteln, die das Gefühl haben, sie können sich ein Kind kaufen!». Aber Olivier geht mit seiner Geschichte offensiv um, auch auf seinen Social-Media-Kanälen. «Das ist der einzige Weg, dass Regenbogenfamilien irgendwann als normal angesehen werden», erklärt er. Und: «Ich tue dies auch für mich. Für mein 15-jähriges Ich, das keine Vorbilder hatte. Für die heutigen 15-Jährigen, um ihnen vielleicht eines zu sein.»
So geht Olivier Borer mit Kritik an seiner Familiengründung um
Eine Frage taucht immer wieder auf in den Kommentaren: «Habt ihr schon mal daran gedacht, was sich das Kind alles wird anhören müssen?» Die Antwort ist: mehr, als sich die meisten vorstellen können. «Natürlich überlege ich mir, dass Naël sich vielleicht eine dickere Haut zulegen muss als andere», sagt Olivier Borer. «Auf der anderen Seite: Kinder hänseln einander so oder so. Wenn nicht wegen zwei Vätern, dann wegen einer Zahnspange oder abstehenden Ohren. Das ist genauso verletzend.»
Ja, Naël wird wohl hin und wieder seine Familie erklären müssen. «Ich hoffe, wir schaffen es, ihm genügend Selbstbewusstsein mitzugeben, dass er dies so tun kann, wie es für ihn stimmt», sagt sein Papi. Und was kann sich ein Kind schlussendlich mehr wünschen als Eltern, die für es da sind, egal, was ist. «Aus tiefstem Herzen versprechen wir dir, dich bedingungslos zu lieben», schreiben Olivier Borer und sein Mann in Naëls Geburtsanzeige. Und: «Jetzt haben wir alles.»