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Das neue Leben von Simonetta Sommaruga

«Ich mache nur noch, worauf ich Lust habe»

Zugfahren mit Studenten statt ­Privatlimousine mit Chauffeur, Anstehen in der Mensa statt Menü im Edelrestaurant: Alt Bundesrätin Simonetta Sommaruga gibt Einblicke in ihr neues Leben.

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Das GA der 1. Klasse behält ­Simonetta Sommaruga als alt Bundesrätin. «Ich fahre aber ­immer mal wieder gern 2. Klasse.»

Das GA der 1. Klasse behält Simonetta Sommaruga als alt Bundesrätin. «Ich fahre aber immer mal wieder gern 2. Klasse.»

Kurt Reichenbach

Statt wie zu Bundesratszeiten mit einer Entourage aus persönlichen Mitarbeitern und Bodyguards erscheint Simonetta Sommaruga (65) am Zentrum für Sicherheitspolitik in Genf in Begleitung von acht Studentinnen und Studenten. Die Jugend ist ein wichtiger Teil im neuen Leben der Berner SP-Politikerin, die Ende 2022 aus dem Bundesrat zurückgetreten ist.

Seit diesem Februar leitet Sommaruga zusammen mit Professor Adrian Vatter an der Universität Bern das Seminar «Regieren in Theorie und Praxis». Einmal pro Woche gibt sie den rund 25 Studierenden Einblicke in ihren früheren Alltag als Magistratin. «Ich habe schon als Bundesrätin gern Schulen besucht, der Austausch mit jungen Menschen berührt mich sehr», sagt Sommaruga. Zudem habe sie nach 25 Jahren in der Politik – von der Gemeinderätin in Köniz BE zur National- und Ständerätin bis zur Bundesrätin – einen grossen Erfahrungsschatz, den sie gern weitergebe.

Im Seminar erfahren die Studierenden etwa, wie man heikle politische Geschäfte vorbereitet. Als Beispiel diente ihr der runde Tisch zur Wasserkraft, an den sie 2021 die Akteure aus verschiedenen Lagern eingeladen hatte. «Dieser führte dazu, dass die jahrelange Blockade für neue Wasserkraftwerke endete.» Staatsgeheimnisse plaudere sie bei ihren Vorlesungen keine aus, sagt Sommaruga und fügt schmunzelnd hinzu: «Ich weiss immer noch, was ich sagen darf und was nicht.»

Am Zentrum für Sicherheitspolitik in Genf gibt Sommaruga Polittalenten aus der ganzen Welt Tipps für die Karriere.

Am Zentrum für Sicherheitspolitik in Genf gibt Sommaruga Polittalenten aus der ganzen Welt Tipps für die Karriere.

Kurt Reichenbach

Schüchternes Mädchen, das Klavier spielte

Statt im Vorlesungssaal zu dozieren, fährt sie mit «ihren» Studierenden Anfang Mai 2. Klasse mit dem Zug von Bern nach Genf. Die Kofi Annan Stiftung hat die «former president of the Swiss government» – die ehemalige Bundespräsidentin – als Ehrengast für das Training in Political Leadership eingeladen. 14 junge Politikerinnen und Politiker aus 13 Ländern erhalten dort das Rüstzeug für ihre Karriere. «Es gibt für fast alle Jobs Ausbildungen und Trainings, nicht aber für den Job als Politikerin. Darum finde ich das eine tolle Initiative», sagt Sommaruga.

Zu Beginn der Diskussionsrunde erzählt die alt Bundesrätin von ihrer Jugend – und ihrem Weg in die Politik. «Ich war ein schüchternes Mädchen, das lieber Klavier spielte als redete.» Die Arbeit im Frauenhaus in Freiburg habe sie stark geprägt. «Manchmal muss man sich entscheiden im Leben. Und ich entschied mich, in die Politik zu gehen, um jenen eine Stimme zu geben, die keine Stimme haben.» Dieser Leitsatz habe sie stark gemacht – auch gegen die Kritik, die praktisch täglich auf sie als politische Person einprasselte.

Zwölf Jahre sass Sommaruga im Bundesrat, zuerst als Justizministerin, dann als Umweltministerin. Als Bundespräsidentin führte sie das Land 2020 durch das erste Coronajahr. Zwei Jahre später erleidet ihr Mann, der Schriftsteller Lukas Hartmann, Ende Oktober einen Schlaganfall. Zehn Tage später kommuniziert Sommaruga sichtlich bewegt ihren Rücktritt. «Der Entscheid fiel mir schwer, aber ich habe ihn nie bereut. Es war an der Zeit, die Prioritäten anders zu legen.» Heute gehe es ihrem Mann gut. «Er kann sich wieder frei bewegen. Und wieder schreiben. Das ist ein grosses Glück.» Rund zwei Jahre nach dem Schlaganfall veröffentlicht Hartmann mit «Martha und die Ihren» ein Buch über die Geschichte seiner Grossmutter, die als Verdingkind aufgewachsen ist. «Das Schreiben ist sein Lebensfaden», sagt Sommaruga, die jeweils eine der Erstleserinnen seiner Werke ist.

Bei der Wahl zur Bundespräsidentin 2014 mit ihrem Ehemann Lukas Hartmann und Stiefsohn Jonas Lehmann.

Bei der Wahl zur Bundespräsidentin 2014 mit ihrem Ehemann Lukas Hartmann und Stiefsohn Jonas Lehmann.

Karl-Heinz Hug

Heute macht sie alles alleine

Das Thema Verdingkinder beschäftigte auch Sommaruga in ihrer politischen Karriere. Im Kurs in Genf fragt die Australierin Neane Carter, Anwältin für die Rechte von Aborigines, worauf Sommaruga in ihrer Karriere besonders stolz ist. «Dass ich mich im Namen des Bundesrats offiziell bei den Verdingkindern entschuldigen konnte.» Als Politikerin könne man das Land nicht verändern, wenn man nicht auch die schlimmen Seiten der Vergangenheit aufarbeite. Die Australierin, die zum ersten Mal die Schweiz besucht, ist gerührt. Nach Sommarugas Auftritt schenkt sie ihr eine Kordel mit Emu-Federn, die indigene Frauen bei Feiern am Gurt tragen.

Nurin Mirzan Mansuralli, Mitglied der linksgrünen Partei Livre aus Portugal, ist beeindruckt von Sommarugas Ratschlag, sich mit Personen zu umgeben, die besser sind als man selbst. «In einer Topposition sagen einem alle, wie toll man ist. Dabei braucht man Leute, die nicht immer Ja sagen. Einen hinterfragen. Das macht einen selber besser», sagt die alt Bundesrätin. Das sei auch jener Aspekt, den sie an ihrem heutigen Leben vermisse. «Der Teamspirit in meinem Departement war fantastisch.» Heute mache sie alles alleine, schreibt ihre Referate selber, recherchiert für ihre Engagements wie etwa für ihr Amt als Präsidentin der Stiftung Equal-Salary, die sich für Lohngleichheit einsetzt. «Ich habe heute die Freiheit, nur noch das zu machen, was mich interessiert, und nur noch jene Leute zu treffen, die mich interessieren.» Jeden Morgen liest sie Zeitungen, hört Radio. «Ich will ja nicht nur aus der Vergangenheit erzählen, sondern am Ball bleiben.»

Anstehen wie alle anderen auch: In der Mensa in Genf gibts für die ehemalige Magis­tratin Salat und Poulet.

Anstehen wie alle anderen auch: In der Mensa in Genf gibts für die ehemalige Magistratin Salat und Poulet.

Kurt Reichenbach

Dabei helfen ihr auch die fünf Grosskinder ihres Ehemannes, die zwischen sechs Monate und 20 Jahre alt sind – darunter zweijährige Zwillinge. «Ich kümmere mich gern um sie. Es ist ein Geschenk, wie offen sie auf die Welt zugehen.» Nachdenklich stimme sie allerdings, dass die Grosskinder die Folgen des Klimawandels ausbaden müssen.

Auf die Frage, ob Leute sie auf dem Spielplatz häufig ansprechen, sagt Sommaruga augenzwinkernd: «Glauben Sie mir, für Gespräche bleibt da keine Zeit.» Noch immer spielt die ausgebildete Pianistin regelmässig Klavier und verbringt Zeit im Garten ihres Hauses in der Stadt Bern, wo sie Salat und Kartoffeln erntet.

Beraterin von jungen Politikerinnen

«Frau Sommaruga ist sehr zugänglich und authentisch», sagt Stefan Bruhin, 28, der seinen Master in Schweizer Politik macht und nach Genf mitgereist ist. «Ihre Einblicke in den politischen Alltag sind für uns eine spannende Abwechslung zum theoretischen Studium», sagt Naima Hillmann, 26. Dazu gehöre definitiv auch der Ausflug nach Genf.

Eine junge Frau aus Ghana will mit Sommaruga in Kontakt bleiben, diese gibt ihr ihre Mailadresse. «Ich habe seit meinem Rücktritt immer wieder junge Politikerinnen begleitend beraten», sagt Sommaruga. «In der momentan schwierigen Weltlage gibt mir das Engagement der Jugend Hoffnung.»

Jessica Pfister
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Text: Jessica Pfister am 24. Mai 2025 - 18:00 Uhr