Bonsoir, Paris!» Es gibt nicht so viele Schweizer Mundartsänger, die von sich behaupten können, diesen Satz in einem Pariser Stadion ins Mikrofon gerufen zu haben. Stephan Eicher vielleicht – falls er überhaupt als Mundartstar durchgeht. Und seit vergangener Woche Thomas Graf (48) Seine Band Megawatt folgte einer Einladung von Liechtenstein, im Rahmen der Olympischen Spiele in der französischen Hauptstadt aufzutreten. Da Schlagzeuger Marius Matt (43) und Gitarrist Marco Gassner (47) Liechtensteiner sind und Thomas Graf seit Jahren im Fürstentum wohnt, sei dem «Ländle» auch ein gewisses «Anrecht» auf die Rheintaler Erfolgsband gegönnt. Während Olympia geniesst Liechtenstein Gastrecht im Deutschen Haus. Dieses hat seine Fanzone inklusive riesiger Bühne, auf der sich auch die deutschen Stars Clueso und Tim Bendzko tummelten, im Rugbystadion Jean-Bouin eingerichtet. «Was für eine Ehre, dort aufzutreten!», sagt Graf.
«Sie träumt no vo tuusig Sacha, eimol in Paris ufwacha» singt Thomas Graf im Megawatt-Hit «Laura». Geschrieben hat er ihn für seine Partnerin Marion Kaiser (54) («Laura singt sich besser als Marion»). Jetzt erfüllt sich dieser Traum für beide zum ersten Mal. Was für ein Abenteuer! Zeit für Nervosität bleibt bei der Hinfahrt im Zug allerdings keine. Zwischen Vorbereitung und Planung gibts auch noch einen Schwatz mit der Equipe der Springreiter, die zufällig im gleichen Abteil reisen. Ob einer der Rocker einspringen könnte, falls dem Team ein Mann abhandenkomme? Schallendes Gelächter. «Die armen Pferde …» meint Marius Matt.
Kaum angekommen, gehts auf gemeinsame Sightseeingtour. Geht man sich nicht auf die Nerven, wenn man fast jedes Wochenende zusammen unterwegs ist? «Gar nicht!», sagt Thomas Graf. «Wir sind wirklich ganz dicke Freunde. Eine Reise wie diese wollen wir als Einheit in Erinnerung behalten, vom Anfang bis zum Ende.» Die Harmonie ist nicht selbstverständlich, zumal Megawatt kein Kollektiv schon seit Jugendtagen sind. Erst 2019 besetzte Thomas Graf die Band mit Musikern, die er kannte. Zusammen gespielt hatten sie zuvor nie.
Zuerst sah es so aus, als stünde das Projekt unter keinem guten Stern. Einem einzigen öffentlichen Konzertwochenende folgte die Pandemie. Für Megawatt hatte es sich ausgerockt – zumindest live. Aber das Debütalbum «Megawatt» kletterte auch so auf Rang 2 der Albumcharts. Beim dritten öffentlichen Auftritt sangen die Fans nicht nur jedes Lied mit – «die ältesten Newcomer der Schweiz» erhielten auch bereits eine Gold-Auszeichnung fürs Album überreicht. 2021 gabs den ersten Swiss Music Award, 2023 den zweiten fürs beste Album. Die CDs «Felsafescht» und «Rockerherz» schafften es beide an die Spitze der Schweizer Hitparade. Die Einladung zu Olympia passt irgendwie zu dieser ungewöhnlichen Bandgeschichte. Dabei sind den fünf Rockern – übrigens während der Woche alle noch anderweitig berufstätig – Hits und Auszeichnungen gar nicht so wichtig. «Wir wollen Spass haben. Und wir wollen, dass unser Publikum Spass hat. Alles andere ist zweitrangig», sagt Bassist Damian Caluzi (40).
Als Thomas Graf in Paris hinter der Bühne steht und ins vorwiegend deutsche Publikum «spienzlet», wird ihm doch kurz flau im Magen. «Die sind alle nicht wegen uns hier, haben noch nie von uns gehört, kennen unsere Songs nicht und verstehen kein Wort von dem, was wir singen», sagt er. Gitarrist Dennis Mungo, der gerade sein Hemd zuknöpft, sieht ihn an, grinst, reisst das Hemd wieder auf und sagt: «Genau! Hier kennt uns niemand – was können wir da schon verlieren? Lasst uns Spass haben!» Und Megawatt rocken in Paris, als gäbe es kein Morgen. Das Publikum staunt, dann klatscht es mit – und beim dritten Song springt es auf und ab. Wer muss schon jedes Wort verstehen, wenn die Stimmung überkocht. Und dies auch im wörtlichen Sinn: Das Thermometer zeigt 35 Grad an.
Aber wen kümmerts nach so einem gelungenen Auftritt schon, dass die Klamotten am Körper kleben? Erst mal gibts für die Band ein Bier, danach Käsespätzle, Frikadellen und Kartoffelsalat. «Was sonst, schliesslich sind wir in Frankreich», flachst Ersatzgitarrist Dominik Pfister (37), der für Marco Gassner einspringt. Dieser ist in den schon lange geplanten Familienferien. «Als Thuner bringe ich ein bisschen Langsamkeit und Gelassenheit in diesen Ostschweizer Haufen», meint Pfister lachend.
Tatsächlich ist Gelassenheit aber keine Frage der Herkunft, wie sich tags darauf eindrücklich zeigt. Wegen eines Unwetters und Baumstämmen auf den Gleisen fahren keine Züge von Paris in die Schweiz. Länger zu bleiben, ist keine Option, Megawatt haben am nächsten Tag bereits wieder einen Auftritt. Per Uber (eine Art Taxi) gehts nach Dijon, von dort fährt nach fast fünf Stunden geduldigen Wartens endlich ein Zug nach Zürich. Dort wird die Band samt Anhang von Marions Tochter abgeholt. 16 Stunden dauert die Heimreise von ihrem Paris-Abenteuer. Man nimmts mit Humor. «Jetzt haben wir wenigstens richtig was zu erzählen», meint Thomas Graf verschmitzt. Als ob sie das sonst nicht hätten, diese fünf Männer, die in einem Alter zu Rockstars wurden, in dem andere schon mal für ihre Pension vorsorgen. Den Rock ’n’ Roll zelebrieren sie auf der Bühne wie kaum sonst jemand. Und sind abseits des Rampenlichts alles andere als Stars mit Allüren: bodenständig, nahbar, authentisch. Künftig rocken sie mit einem kleinen bisschen Paris im Herzen.