Als Lise Donier-Meroz im Sommer 2017 für einen Sprachaufenthalt nach England reiste, konnte sie nicht ahnen, dass die kommenden Monate ihr Leben auf den Kopf stellen würden. «Ich hatte vor, Karriere im Hotel-Management zu machen, und wollte im Service des Dreisternerestaurants L’Enclume nur meine Englischkenntnisse vertiefen», erklärt die junge Französin. Dann aber nahm sie an freien Tagen ein paar Mal an Treffen des Sommellerie-Teams teil und fing Feuer für das Degustieren und Analysieren. «Als ich einen Orange Wine aus dem Friaul probierte, realisierte ich, wie spannend und vielschichtig Wein ist», erzählt Lise. In der Folge tauchte sie immer tiefer in das Thema ein und erhielt im Sommer 2018 die Chance, als Assistenz-Sommelière im «L’Enclume» anzufangen. Ende 2019 – inzwischen mit dem WSET-Diplom in der Tasche – wurde sie zur vollwertigen Sommelière befördert, wenige Monate später sicherte sie sich eines der begehrtesten Stipendien für Sommellerie-Talente in Grossbritannien.
2021 folgte der Wechsel in die Schweiz. Zunächst arbeitete Lise Donier-Meroz bei Damien Germanier in Sion VS, dann im «Les Touristes» in Martigny VS, wo sie den Keller aufbauen durfte. Seit Februar 2024 ist das Restaurant von Gilles Varone in Savièse VS ihr berufliches Zuhause. «Mit einem so kreativen Koch wie Gilles an Pairings tüfteln zu können, ist ein enormes Privileg», betont sie. «Wir beide fühlen uns der Region sehr verbunden, möchten die Gäste mit dem Geschmack des Wallis und der Alpen begeistern.» Angenehmer Nebeneffekt: Lise, die auch das Essen und das Kochen liebt, darf jedes neue Menü des 17-Punkte-Chefs probieren. «Gut für mich – und gut fürs Fine Tuning bei der Getränkeauswahl», sagt sie und lacht. Als moderne Sommelière beschränkt sich ihr Aufgabengebiet aber nicht auf Wein und Spirituosen. Die alternative Getränkebegleitung wird immer wichtiger und macht ihr grossen Spass. «Vom Kefir bis zum Kombucha bereiten wir diverse Getränke selbst zu», erklärt sie. «Die Herangehensweise ist ähnlich wie bei Weinpairings.»
So rasant Lise die Karriereleiter emporgeklettert ist, so schnell hat sie sich im Wallis eingelebt. Vier Jahre nach ihrer Ankunft im Kanton zählt sie schon zu den profundesten Kennerinnen der dortigen Weinlandschaft. «Nur Walliserdeutsch beherrsche ich noch nicht. Ich bin aber ehrgeizig und möchte zumindest ein paar Brocken lernen, auch wenn man bei uns im Ort Französisch spricht», sagt die Sommelière. Wenn sie nicht gerade ihre Passion auf die Gäste überträgt oder hinter den Kulissen des Restaurants wirkt, trifft man sie häufig in den Rebbergen an. «Ich habe sogar das Glück, in Fully eine kleine Parzelle mit rund 1000 Quadratmetern Fläche bewirtschaften zu dürfen», erzählt sie mit leuchtenden Augen. Diesen September kann sie zum ersten Mal Trauben ernten: Gamay, Chasselas und Pinot noir.
Um die Bibliothek in ihrem Kopf stetig zu erweitern, probiere sie pro Woche zwischen 50 und 100 Weine, sagt Lise. Ist das nicht unheimlich anstrengend? «Ich habe Superkräfte», scherzt sie – und schiebt nach: «Meine Neugier und meine Freude an diesem Job sind so gross, dass ich mich über jeden guten Wein, über jede neue Entdeckung freue. Diese Freude ist mein Treibstoff.» Spricht Lise über Wein, sprudelt es nur so aus ihr heraus. Nachdenklich wird sie nur bei der Frage nach den Namen von Winzerinnen oder Winzern aus der Schweiz, deren Weine man unbedingt einmal probieren sollte. «Es gibt doch so viele grossartige Leute», sagt sie mit einem Seufzer. «Die Weine von Marion und Jacques Granges von der Domaine de Beudon in Fully gehören sicher zu den spannendsten der Region. Sie haben mich schon fasziniert, als ich noch in England lebte, sie sind sehr alpin und mit grosser Sensibilität gemacht.» Weitere Favoriten von Lise sind Alex Stauffer (GaultMillaus «Rookie des Jahres 2026»), der in Flanthey VS Dôle der Extraklasse keltert, und Romain Favre aus Chippis bei Sierre, der unter anderem die sehr seltene, trockene, säurereiche Rebsorte Rèze anbaut. Wer Lise im Restaurant Gilles Varone besucht, wird noch viele andere Namen kennenlernen.