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Gelenkersatz: In einer Stunde zur neuen Hüfte

Der Ersatz eines geschädigten Hüftgelenks gilt heute als Routineeingriff. Wie sich die Behandlung in nur wenigen Jahren verändert hat, sagen drei erfahrene Fachärzte für orthopädische Chirurgie.

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Otmar Hersche

Dank neuer Operationstechnik und Material in Top-Qualität hält ein künstliches Hüftgelenk heute mehrere Jahrzehnte.

Otmar Hersche

Vor 20 Jahren galt: zwei Wochen im Spital, sechs Wochen an den Stöcken und zwei bis drei Wochen Reha. Heute ist die Regel: unter einer Stunde Operationsdauer, zwei bis fünf Tage in der Klinik, Stöcke je nach Bedarf, keine Reha. Drei Spezialisten vom Gelenkzentrum Zürich an der Privatklinik Bethanien erläutern die Fortschritte beim Hüftgelenkersatz.

Es sind verschiedene Faktoren, die sich in den letzten 20 Jahren verändert haben. Zum einen ist es die Operationstechnik. Ab 2004 hat sich der vordere minimalinvasive Zugang etabliert. «Die Operationsdauer ist kürzer, wir müssen keine Muskeln ablösen, und das künstliche Gelenk kann schneller belastet werden», erklärt Dr. Otmar Hersche. In den meisten Fällen genügt ein Schnitt von etwa acht Zentimetern. «Der vordere Zugang ist ausschlaggebend für den sicheren Halt des künstlichen Gelenks.» Die Hospitalisation verkürzt sich auf zwei bis fünf Tage, die Rehabilitation geht schneller vor sich. Vor allem das Ausrenken des Hüftgelenks in den ersten zwei bis drei Monaten ist dank dem vorderen Zugang selten geworden. Im Gelenkzentrum Zürich werden vorwiegend zementfreie Prothesen eingesetzt, auch bei Patientinnen mit Osteoporose. «Bei Osteoporose hält das zementfreie Implantat zuverlässig», sagt Dr. Urs Munzinger.

Zum andern ist das Material besser geworden. «Das Prinzip der Titanlegierung im Knochen des Oberschenkels und im Becken ist seit den 90er-Jahren gleich geblieben», sagt Munzinger. Der Kopf der Prothese besteht meist aus Keramik oder Metall. Der ganz grosse Change-Maker ist das hochvernetzte Polyethylen, das die Pfanne auskleidet. «Das ist Top-Qualität. Es entsteht viel weniger Abrieb, auch wenn das Gelenk stark belastet wird», gibt Hersche zu bedenken. Das Problem beim alten Polyethylen war, dass sich Abriebpartikel zwischen Knochen und Prothese hineingearbeitet haben. Das führte zu einer Lockerung der Prothese. «In der Literatur haben wir Studiendaten, die zeigen, dass mit dem hochvernetzten Polyethylen grössere Köpfe verwendet werden können als mit dem alten Material. Je grösser der Kopf, desto weniger Luxationen», sagt PD Dr. Stefan Rahm. Klare Regeln, ob Kurz- oder Standardschaft, gibt es nicht. Der kurze Schaft ist zeitgleich mit der Einführung des vorderen Zugangs aufgekommen. «Aufgrund der Exposition des Oberschenkelknochens kann er einfacher implantiert werden.» Als viel wichtiger erachtet Hersche die zuverlässige Ver-ankerung der neuen Schäfte. Dadurch ist das Gelenk sofort belastbar. Komplett mit dem Knochen verwachsen ist der Schaft in zwei bis drei Monaten.

Wie kann sich eine Patientin oder ein Patient auf die Operation vorbereiten? Fitness oder Physiotherapie ist in den meisten Fällen der Schmerzen wegen nicht möglich. «Wichtig ist der Allgemeinzustand. Die besten Voraussetzungen hat jemand, der wenige Begleiterkrankungen hat», hält Hersche fest. «Das Wichtigste ist die Information. Der Patient muss wissen, was ihn erwartet», betont Munzinger. Entscheidend ist auch der Zeitpunkt der Operation. Den Eingriff hinauszögern sei keine gute Idee. «Die Muskeln werden schwächer. Solche Personen haben nach dem Eingriff länger, bis sie dort sind, wo sie sein möchten», gibt Rahm zu bedenken. «Letztendlich ist der richtige Zeitpunkt dann, wenn der Patient bereit ist für eine Operation.» Munzinger weist darauf hin, dass eine Infektsanierung vor der Operation wichtig ist. «Entzündete Zähne oder eingewachsene Zehennägel müssen behandelt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass über das Blut eine Infektion im Gelenk entstehen kann.»

Gibt es eine Alterslimite? «Wir operieren über 90-Jährige, wenn der Internist und der Anästhesist grünes Licht geben. Ziel ist es, die Selbstständigkeit des Patienten so lange wie möglich zu erhalten», sagt Munzinger. Hersches älteste Patientin war 98. «Wenn eine Patientin noch selbstständig lebt, einigermassen gesund und vor allem geistig da ist, steht einer Operation nichts im Wege.»

Wie lange eine Prothese hält, ist eine der Hauptfragen von Patienten und Patientinnen. Für Munzinger sind es 30 Jahre oder unlimitiert. Für die meisten Betroffenen dürfte das zutreffen, liegt der Zeitpunkt der Operation doch meist nach 60. Dazu Stefan Rahm: «Wir haben die Zahlen vom hochvernetzten Polyethylen noch nicht, das vor knapp 20 Jahren eingeführt wurde. Beim alten Polyethylen gibt es Daten, die besagen, dass bei 70-Jährigen nach 20 Jahren über 95 Prozent der Prothesen noch nicht gewechselt werden mussten. Interessant werden die Zahlen mit dem hochvernetzten Polyethylen bei 40- oder 50-Jährigen sein, die doch noch 20 bis 30 Jahre aktiv sind.»

Reha ja oder nein? Die Versicherungen sind zurückhaltend mit der Kostenübernahme einer Reha, vor allem seit der breiten Anwendung des muskelschonenden vorderen Zugangs. Für die Versicherung wichtig ist die Frage, ob Begleiterkrankungen vorhanden sind. Die Tatsache, dass ein Patient allein lebt, ist meist kein Grund für eine Reha. Da kommt eine Betreuung durch die Spitex infrage. «Die Resultate nach einer Reha sind ähnlich, verglichen mit einem Patienten ohne Reha, da das tägliche Leben bereits Übungsmöglichkeiten bietet», so Munzinger. Die Stöcke werden als Vorsichtsmassnahme empfohlen. Sie geben eine gewisse Sicherheit. Patienten können selber entscheiden, ob für sie Stöcke wichtig sind oder nicht. «Am besten ist es, der Patient getraut sich, hat keine Angst vor Bewegungen. Ängstliche Patienten haben eine längere Erholungszeit», sagt Hersche.

Wie findet ein Patient den geeigneten Operateur? Oft geben Bekannte und Verwandte Ratschläge, teils aus eigener Erfahrung. Dazu Dr. Otmar Hersche: «Eine gute Voraussetzung für den Erfolg ist ein Operateur, der möglichst spezialisiert ist auf Hüfteingriffe und auch schon viele Eingriffe gemacht hat. Wichtig ist, wie überall in der Medizin, das subjektive Gefühl: Patienten vertrauen ihre Gesundheit einem anderen Menschen an.»
 

Urs Munzinger

Dr. Urs Munzinger ist Gründer des Gelenkzentrums Zürich, Privatklinik Bethanien. Zuvor war er Chefarzt und ärztlicher Direktor an der Schulthess Klinik in Zürich. Heute ist er im Gelenkzentrum Zürich beratend tätig.

Urs Munzinger
Otmar Hersche

Dr. Otmar Hersche operierte bis Ende 2022 am Gelenkzentrum Zürich. Zuvor war er Chefarzt Revisionschirurgie an der Schulthess Klinik, dann praktizierte er in der Klinik Hirslanden. Heute ist er im Gelenkzentrum Zürich beratend tätig.

Otmar Hersche
Stefan Rahm

PD Dr. Stefan Rahm ist seit vergangenem Jahr neuer Partner des Gelenkzentrums Zürich. Zuvor war er Leitender Arzt an der Universitätsklinik Balgrist in Zürich. Er operiert auch an den öffentlichen Spitälern Männedorf und Uster.

Stefan Rahm
Von Verena Thurner am 25. Februar 2023 - 11:00 Uhr