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#DryMai

Jetzt lasst mich doch einfach keinen Wein trinken!

Mit Freunden anstossen? Easy. Aber geht das auch mit Wasser? Oder Limonade? Nein, sagt unsere Autorin. Machen tut sie es trotzdem.

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Limonade

Eine frische Limonade statt Wein – wird beim Anstossen nicht gerne gesehen.

Getty Images

Ich mag Wein. Nicht irgendeine Plörre für 7.50 Franken aus dem Supermarktregal. Guten. Diese Leidenschaft habe ich von meinem Grossvater mitbekommen. Mein erstes Geschenk als Baby? 12 Flaschen edlen Rotweins. Der, der lange reifen darf. Immerhin war der Grossvater Wein- und Spirituosenhändler. Der hatte immer die guten Tropfen. Meine 12 Flaschen liegen übrigens seit 1978 wohlbehütet im Keller meiner Eltern. Sowas Edles haut man nicht einfach mal so weg. Gute Gelegenheiten mit netten Menschen hätte es genug gegeben (einen Studienabschluss zum Beispiel oder die Ankunft zweier Kinder oder einen grossen Umzug). Trotzdem warte ich (und ja, ich weiss, dass das schiefgehen kann).

Ich bin keine Trinkerin. Wein ist für mich Ausdruck von Geselligkeit, Familiengeschichte und Leidenschaft. Die Dosierung habe ich gut im Griff. Und trotzdem habe ich entschieden, mal für ein Weilchen keinen mehr zu trinken. Warum? Wir versuchen gerade fit zu werden (wer wir sind und wie wirs machen steht hier). Ich habe mir ein Ziel gesetzt. Und für eine gewisse Zeit passt da jetzt halt kein Wein dazu. Easy, oder?

Neue Selbstwahrnehmung: Plötzlich Mahnmal

Bis ich dann am Freitagabend beim Apéro mit Freunden sitze. Statt mit Prosecco auf die überstandene Woche anzustossen, schlürfe ich ein exquisites Wässerchen. Niemand um mich herum ist betrunken, und trotzdem ist die Situation zunächst ein bisschen komisch. Stufe 1: Die Fragen. Ja warum denn bloss ein Wasser?!? Kurz fühle ich mich wie die superkrasse Alkoholikerin, die gerade nach jahrzehntelangem Alkoholmissbrauch entschieden hat, trocken zu werden. In Wahrheit reden wir einfach von den paar Gläsern, die da wöchentlich zusammen kommen. Das Thema «sie trinkt nur Wasser» dominiert für kurz etwas zu intensiv die Tischgespräche. Schritt 2: Die Bewunderung. Ist halt schon wahnsinnig tough, nicht zu trinken. Schritt 3: Die Läuterung. «Ich sollte auch mal nichts trinken.» Schritt 4: Ich will nach Hause, weil ich müde bin. Es wird diskutiert, ob das dran liegt, dass ich nichts getrunken habe. Nein. Müde ist müde ist müde.

Was ich mitgenommen habe? Die Erkenntnis, dass das mit dem nichts trinken gesellschaftlich gesehen gar nicht so einfach ist. Man wird automatisch zum Mahnmal für andere, die sich bei einer potentiell ungesunden Aktivität ertappt fühlen. Man ist irgendwie der Zeigefinger, der in die Wunde drückt. Dabei ist da gar keine Wunde. Sondern lediglich eine Gruppe erwachsener Menschen, die sich im Griff hat. Im Januar, da kann man sowas bringen. #DryJanuary heisst die trendy Abstinenz dann. Im Mai mit solchen Kapriolen den geselligen Flow stören? Etwas schwieriger. Man wirkt spiessig, gerät in Erklärungsnot. Zum Anstossen beim eleganten Dinner eine Wasserkaraffe schwenken? Big No-Go. So unhöflich.

Das muss doch pathologisch sein

Warum? Ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Ein simples «ich trinke im Moment keinen Alkohol» bringt bei vielen gleich das Kopfkino ins Rollen. Es klingt so nach: «Ich habe immer viel zu viel getrunken und deshalb trinke ich nichts mehr.» Es lässt das Gegenüber denken, dass hier eine biografisch pathologische Erfahrung mitschwingt oder Überkonsum mit plötzlicher Askese kompensiert wird. Oder es wird eine Wertung hineininterpretiert, dass das Gegenüber also schon mal bitte schön auch ein bisschen gesunder leben soll.

Dabei mag ich jetzt einfach mal nicht. Ohne Wertung, ohne Pathologie ohne irgendwas. Deshalb: Lasst mich doch alle einfach mal keinen Wein trinke! Ich esse einfach die Trauben.  

Von Bettina Bendiner am 14. Mai 2019 - 17:32 Uhr