Im ersten Teil unseres Interviews erklärt Csilla Kenessey Landös vom Institut für integrative Psychologie und Pädagogik Schweiz, wie wir Geschwisterrivalität vorbeugen können, indem wir die Rolle unseres erstgeborenen Kindes präventiv stärken. Im zweiten Teil wollen wir nun wissen, was wir tun können, wenn der Konflikt zwischen unseren Kindern bereits allgegenwärtig ist. Nachfolgend die Tipps der Fachfrau und Autorin.
Zoff unter Geschwisterkindern – wie Eltern am besten helfen können
- Gelassen bleiben
«Wichtig: Nicht zu früh einschreiten, sondern den Kindern einen Vertrauensvorschuss geben, damit sie selber eine Lösung finden können», sagt Csilla Kenessey Landös. «Und damit Streit als Chance anschauen. Die Kinder lernen dabei so vieles fürs Leben.»
- Neutral bleiben
«Wir Erwachsenen sollten keine Richterinnen und Richter sein, sondern die Kinder ihre Konflikte wie oben erwähnt selbständig regeln lassen – solange kein Notarzt nötig ist … Dazu gehört, die Kinder in der ‹Ihr-Form› anzusprechen. Denn sobald wir ein einzelnes mit ‹Du› ansprechen, ergreifen wir Partei, und das verstärkt die Geschwisterrivalität.»
- Sich als Eltern immer wieder vorstellen, wie die Situation für das ältere Kind ist
«Immer daran denken: Hormonell gesehen wollen Kinder mit uns harmonieren. Wenn sie es nicht können, sind sie in emotionaler Not», erklärt die Psychologin. «Der Mensch, der Fehlverhalten zeigt, ist in emotionaler Not.»
- Sich immer zuerst emotional mit dem Kind verbinden
«Brauchen die Kinder beim Lösen eines Konflikts Hilfe, zum Beispiel wenn ein Kind sehr aggressiv wird und es nötig ist, dazwischen zu gehen, Ruhe bewahren und fragen, was es so wütend oder traurig gemacht hat, was sein Ziel war, Verständnis zeigen und dann zusammen eine Lösung suchen», empfiehlt Kenessey Landös. Und wieder daran denken: «Verhalten ist die Sichtbarmachung der emotionalen Entwicklung. Wenn es einem Kind gut geht, wenn es sich gefühlt und verstanden fühlt, muss es nicht mehr mit Fehlverhalten reagieren und auf seine Geschwister los gehen.»
- Auswahl geben
«Wenn der Streit anhält und die Kinder selber keine Lösung finden, kann es helfen, ihnen eine Auswahl zu bieten», sagt Kenessey Landös: «Ich höre, ihr habt Streit, was denkt ihr, wie lange dauert das noch? Wollt ihr noch länger streiten, oder können wir Zvieri essen?»
- Konflikt in ruhigem Moment nachbesprechen
«Denn nachbesprechen heisst auch vorbesprechen für den nächsten Konflikt», sagt die Psychologin. «Damit können Erwachsene Kindern helfen, damit sie nicht nochmals scheitern, ihnen zeigen, dass sie ihre Not sehen und ihnen helfen wollen. Einem Kind, das immer wieder aggressiv wird, aber auch klar sagen, dass Schlagen nicht toleriert werde, und gemeinsam Strategien suchen, die ihm helfen können. Zum Beispiel ein Codewort oder ein Handzeichen machen, das Stopp bedeutet.» Hier macht sich eine weitere Expertin stark für das Nachbesprechen von Streit zwischen Kindern.
- Aggressivität umleiten
«Wenn immer wieder Aggressivität im Spiel ist, im Gespräch mit dem Kind gemeinsam eine Strategie finden, die ihm helfen kann, die Wut umzuleiten. Zum Beispiel bei Mama oder Papa in einen Ofenhandschuh boxen, sich an ein ruhiges Plätzchen zurückziehen (aber niemals als Strafe rufen: ‹Geh auf dein Zimmer!›) oder Papier zerreissen. Und die Fetzen danach gemeinsam aufräumen.»
- Vorbild sein
«Zum Beispiel beim gemeinsamen Essen davon erzählen, wie wir selbst Konflikte lösen. Etwa anhand einer passenden Anekdote aus dem Büro: ‹Heute war meine Kollegin sauer und ich wurde etwas wütend. Dann habe ich das Fenster aufgemacht, tief eingeatmet, mich dadurch beruhigt und weiter gearbeitet.›»
- Gefühle als Figuren darstellen
«Manchen Kindern hilft es, ihre Gefühle als Figuren darzustellen, um leichter darüber sprechen zu können, zum Beispiel mit Fimo. Denn Kinder verallgemeinern in einer Millisekunde. Wenn sie aggressiv sind und gemassregelt werden, denken sie, sie seien nicht gut. Eine Wutfigur kann ihnen zeigen: Das ist nur in dem spezifischen Moment so.»
- Den Konflikt in eine Geschichte mit Happy-End drehen
«Manche Kinder haben einen Wettbewerbsanteil in sich und werden wütend, wenn sie verlieren. Sie werden vielleicht später Sportlerin oder Sportler», sagt Csilla Kenessey Landös. «Und das kann man ihnen auch so erzählen, damit sie sehen, was für Chancen sich ihnen bei jedem Konflikt bieten, um etwas zu lernen.»