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  4. «Erst aufregend, dann kompliziert»: Narzissmus in einer Partnerschaft

Mitja Back klärt auf

«Beziehungen mit Narzissten sind langfristig möglich»

Bei einer Partnerschaft mit narzisstischem Charakter können bekanntlich mal die Fetzen fliegen. Was dahintersteckt und warum die Beziehung dennoch funktionieren kann, verrät Mitja Back im Interview.

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Narzissmus kann in einer Partnerschaft für Konflikte sorgen.
Narzissmus kann in einer Partnerschaft für Konflikte sorgen. fizkes/Shutterstock.com

Wenn der Partner oder die Partnerin in einer Beziehung plötzlich narzisstisches Verhalten an den Tag legt, können hin und wieder die Fetzen fliegen. Viele glauben, dass die Liebe so auf Dauer nicht halten kann. Anderer Meinung ist jedoch Mitja Back, Persönlichkeitspsychologe und Autor von «Ich! Die Kraft des Narzissmus» (Kösel Verlag): «Beziehungen mit Narzisstinnen oder Narzissten sind auch langfristig möglich», betont er im Interview.

Wie verhalten sich Narzisstinnen und Narzissten in einer Beziehung?

Mitja Back: Beziehungen mit Narzisstinnen oder Narzissten sind häufig zu Beginn sehr aufregend und voller Lebensfreude. Lauter spannende Unternehmungen und Erlebnisse. Partnerinnen oder Partner haben oft das Gefühl, als öffneten sich ganz neue Lebensmöglichkeiten. Sobald der Alltag einsetzt, wird es komplizierter. Narzisst*innen lieben das «Spiel mit der Liebe», das Flirten auch mit anderen. Und sie haben durch ihre charmante und selbstbewusste Art auch häufig mehr alternative Möglichkeiten. Das macht «Fremdgehen» zu einem echten Thema und kann Liebesbeziehungen mit Narzisst*innen ganz schön wackelig machen. Ausserdem verhalten sich Narzisst*innenen aufgrund ihres Anspruchsdenkens in Beziehungen oft egoistisch, beteiligen sich nicht gleichmässig bei der Aufteilung der lästigen Pflichten in der Lebensführung, sie nehmen mehr als sie geben. Und sie provozieren häufiger Konflikte, führen diese dann härter und sind im Nachgang weniger bereit zu verzeihen und sich zu entschuldigen.

Sind Beziehungen mit Narzisstinnen und Narzissten überhaupt langfristig möglich?

Ja, Beziehungen mit Narzisstinnen oder Narzissten sind auch langfristig möglich. Es ist ein Schauermärchen, dass Beziehungen mit Narzisst*innen immer «toxisch» sind und man von Narzisst*innen zwangsläufig manipuliert und ausgenutzt wird. Wichtig ist, sich selbst klar zu machen, was man will und kann in der Liebe. Und dazu gehört auch, darüber zu reflektieren, wie gut die eigenen Präferenzen bei der Auswahl von Liebespartnerinnen und -partnern zu den eigenen Wünschen an die langfristige Partnerschaft passen. Narzisst*innen bringen Aufregung und Abwechslung aber eben auch Konflikte und Unsicherheit in eine Beziehung. Selbstbewusste Entscheidungen für oder gegen solche Beziehungen sind eher zu empfehlen, als immer wieder neu über Beziehungen mit Narzisst*innen zu klagen.

Können Narzisst*innen Liebe zeigen?

Entgegen der häufig geäusserten Warnung, Narzisstinnen und Narzissten seien gar nicht in der Lage, Gefühle zu verstehen und zu zeigen, haben die meisten Narzisst*innen die ganz normale menschliche Fähigkeit zu Empathie und Liebe – und auch das Bedürfnis danach. Es ist nur so, dass sie das weniger häufig in die Tat umsetzen. Das liegt aber nicht daran, dass sie es aufgrund irgendeines krankhaften Defizits oder eines Beziehungstraumas nicht könnten. Sie haben nur aus ihrer Sicht häufig Besseres zu tun. Narzisst*innen streben kompromissloser als andere Menschen nach persönlichem Vorankommen, nach dem Erreichen von Neuem. Deshalb bleibt weniger Lebensenergie und Zeit übrig, für das Zurechtkommen mit anderen Menschen, für die engen bestehenden Bindungen.

Wie sollte man mit Narzissten umgehen?

Wenn es um die mehr oder weniger hilfreiche Beziehungsführung mit Narzisst*innen geht, ist es wie gesagt zunächst wichtig, bei sich selbst anzufangen und die eigenen Bedürfnisse in Beziehungen zu reflektieren. Im Umgang mit Narzisst*innenen helfen vor allem drei G's: Genuss, Gerechtigkeit und Grenzen. Erstens ist zu empfehlen, die gemeinsame Aufregung auch zu geniessen, die Energie mitzunehmen und die Abenteuer zu erleben – aber genauso auch Unabhängigkeit zulassen und sowohl dem Narzisst/der Narzisstin als auch sich selbst den nötigen Freiraum zu geben. Zweitens sollte man Gerechtigkeit walten lassen, gegenüber dem Narzisst/der Narzisstin und sich selbst. Man sollte die Persönlichkeit des Gegenübers anerkennen und nicht verurteilen, aber eben auch nicht über Fehlverhalten hinwegsehen. Da ist kein versteckter traumatisierter Kern, der behutsam geborgen, gerettet, geheilt werden müsste – Narzisst*innen können für die Nebenwirkungen ihres Statusstrebens ganz normal zur Verantwortung gezogen werden. Hierfür muss man keinen Katalog an Manipulationstaktiken im Kopf haben. Es reicht die natürliche Erwartung an gleichberechtigte Kommunikation und das Einfordern von vernünftigem Verhalten. Und damit sind wir beim dritten Punkt, dem Grenzen setzen. Das ist bei Narzisst*innen nicht einfach und sollte möglichst gelassen geschehen: Nicht in eine Eskalation einsteigen, das narzisstische Gewitter lieber vorbeiziehen lassen. Danach aber die eigenen Bedürfnisse klar benennen und wo nötig klare Grenzen setzen. Kein langes Herumdrucksen, sondern freundlich bestimmte Klarheit. Hierbei klug kommunizieren: Wertschätzung, konkretes Benennen des Problems und Lösungsansatz, positiver Ausblick. Das muss natürlich nicht funktionieren und manchmal kann auch die Entscheidung gegen die Beziehung die richtige Lösung sein.

Können sich Narzissten ändern?

Wie es bei allen Persönlichkeitseigenschaften der Fall ist, so kann sich auch der Narzissmus von Menschen im Verlauf des gesamten Lebens verändern. Zum Beispiel durch neue Erfahrungen in Freundschaften, Partnerschaften oder im Beruf. Gleichzeitig wissen wir, dass Unterschiede im Narzissmus auch über lange Zeiträume ziemlich stabil sind. Wer mit 19 relativ narzisstisch ist, wird das mit 35 wahrscheinlich auch noch sein. Und aus der grosse Reden schwingenden Grosstante auf dem Familienfest spricht mit recht hoher Wahrscheinlichkeit auch noch ihr jugendlicher Narzissmus. Das Ziel sollte es aber ohnehin nicht sein, Narzisst*innen unbedingt verändern zu wollen, sondern möglichst glücklich und erfolgreich mit Narzissmus umzugehen – dem eigenen und dem von anderen Menschen.

Wann kann eine Therapie bei Narzissmus helfen?

Narzisstisch zu sein hat erst einmal keinen Krankheitswert und erfordert keine Behandlung, genauso wenig, wie man wegen einer höheren Schüchternheit oder einer arg peniblen Art zwangsläufig in die Therapie müsste. Narzissmus ist im Durchschnitt sogar mit einer höheren psychischen Gesundheit verbunden. Aber natürlich können auch Narzisst*innen krank werden. Und bei manchen kann ihr Narzissmus dabei wichtig gewesen sein. Das sind häufig Menschen die mit ihrer narzisstische Lebensstrategie, mit ihren übermässig hohen Ansprüchen an sich und ihr Leben, immer wieder gescheitert sind. Die zwar den Anspruch haben, etwas Besonderes zu sein und zu leisten, Anerkennung und Bewunderung zu erreichen, diese Ziele aber nie wirklich umsetzen können. Die immer häufiger ihre Ellbogen herausholen und dann noch stärker in Konflikte hineinrutschen. Oft spielen auch tiefe Kränkungen in der Beziehung oder dem Job eine Rolle. Narzisst*innen, die im Leben scheitern, denken zwar immer noch, dass sie eigentlich etwas Besonderes sind, glauben aber nicht mehr daran, dass die Welt das realisieren wird. Sie werden bitter, zynisch, ihnen geht es schlecht. In der Therapie geht es dann nicht darum, den Narzissmus «wegzutherapieren», sondern darum, nützlichere und flexiblere Wege zu finden, mit dem eigenen Narzissmus umzugehen, beispielsweise den gelasseneren Umgang mit Kritik als Zeichen der Grösse statt als Schwäche anzuerkennen.

Von spot am 27. September 2023 - 09:00 Uhr