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Im Gespräch mit der Ökonomin Maria Olivares

«Es braucht unbedingt mehr weibliche Rollenbilder»

Maria Olivares leitet den Innovation Hub der Universität Zürich. Sie hilft dabei, dass geniale Erfindungen aus dem Elfenbeinturm in die Gesellschaft gelangen.

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Maria Oliviares

Weitblick und Zuversicht: Maria Olivares.

Sara Merz / Tina Aich Production

Der Horizont fehlte ihr am meisten, als sie vor zwölf Jahren in die Schweiz zog. Überall diese Berge, die die Sicht verstellen, bedrohlich und einengend wirken. Maria Olivares ist auf der norddeutschen Insel Rügen aufgewachsen. Wind, Wasser und Weite, das war ihre Welt. Mittlerweile ist die 42-Jährige in Zürich heimisch. Die Berge hat sie längst als Bereicherung lieben gelernt, erklimmt sie in ihrer Freizeit und freut sich dann über die Aussicht von oben.
Beruflich ging es bei der Ökonomin ebenfalls steil bergauf. Sie leitet den Innovation Hub an der Universität Zürich. Die neue Abteilung hat zum Ziel, Innovation und Unternehmertum zu verknüpfen. Und soll als Katalysator wirken für Erfindungen, die an der Uni entstehen, und dabei helfen, dass diese in der Wirtschaft und in der Gesellschaft Fuss fassen. Letztes Jahr nahm die Innovationsabteilung ihren Betrieb auf, mit einem Team, das fest in Frauenhand ist. Maria Olivares ihrerseits verabschiedet sich für die nächsten paar Monate in ihr «grösstes Abenteuer», wie sie es selbst nennt: Sie wird Mutter.

Ist der Mensch genial?
Maria Olivares: Nein, aber er ist vielseitig, kreativ, neugierig und anpassungsfähig. Die besten Voraussetzungen für Innovationen.

Warum zählen Sie auch die Anpassungsfähigkeit dazu?
Man muss sich auf neue Situationen einstellen können. Wenn man immer nur im Status quo bleiben würde, gäbe es keine Entwicklung. Das ist ein in uns angelegter Motivator.

Sie können sich offenbar auch gut anpassen: Einst arbeiteten Sie für das Filmfestival «Nordische Filmtage Lübeck». Das ist ein ziemlich anderer Bereich. Wo hat Ihr Leben die Wende genommen?
Meine Karriere war nicht durchgeplant. Ich wollte gern im Kulturbereich arbeiten, besonders im Kulturmanagement. Zum Ende meines Studiums merkte ich, dass mich das ökonomische Denken mehr reizt. Kultur und Kunst sind weiterhin relevant für mich, das lebe ich aber eher im Privaten aus.

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Die 42-jährige Ökonomin baute die neue interdisziplinäre Abteilung rund um Innovation an der Universität Zürich auf. Es geht ihr darum, die idealen Rahmenbedingungen für Studierende und Forschende zu schaffen, damit ihre Ideen bis zur Marktreife gelangen.

Sara Merz / Tina Aich Production

Nun leiten Sie die Innovationsabteilung der Uni Zürich. Jeden Tag werden an der Uni etwa zwei Forschungsverträge abgeschlossen, alle zwei Wochen wird ein Patent angemeldet. Wo steht dieser Leistungsausweis weltweit?
Tatsächlich schneiden wir sehr gut ab. Gemäss Reuters Ranking 2019 der innovativsten Universitäten von ganz Europa belegen wir Platz neun. Aber auch weltweit gehören wir zu den Top-Universitäten. Im Nature Index 2017 Innovation (untersucht die Verbindung von Erfindung und Kommerzialisierung eines Produkts, Anm. d. Red.) erreichten wir Rang 34.

Wie kommen die Erfindungen aus der Uni-Blase unter die Leute?
Wir vom Innovation Hub verstehen uns als Begleiter und Berater. Wir schlagen die Brücke zwischen Uni und Wirtschaft, in beide Richtungen. Und wir stellen das nötige Handwerkszeug zur Verfügung: Workshops, um dafür zu motivieren, sich mit Unternehmertum auseinanderzusetzen, Zugang zu Technologieplattformen und Laborplätzen, Austausch mit Partnern aus der Industrie oder ehemaligen Uniabgängern, Mentoren und Experten und schliesslich Finanzierungshilfe.

Welche Mittel stehen da zur Verfügung?
Über unsere Entrepreneur Fellowship vergeben wir Stipendien von 150 000 Franken. Die Idee ist, dass die Studierenden oder Forschenden ihr Produkt innerhalb von achtzehn Monaten im besten Fall zur Marktreife weiterentwickeln. Wir starteten drittmittelfinanzierte Initiativen und können auf Donationen zurückgreifen.

Was braucht es, damit eine Innovation erfolgreich wird?
Für ihre Ideen einstehen, netzwerken und umsetzen, was sie bei uns lernen, müssen die Studierenden und Forschenden letztlich selber. Zentral ist meines Erachtens, dass man das mit Freude und Engagement angeht und sein Projekt über mehrere Jahre verfolgen mag. Gemischte Teams sind elementar – Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Fähigkeiten machen ein Team rund. Und dann: Rausgehen, mit Leuten sprechen, auch wenn man müde ist, kritisches Feedback einholen!

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Sichtbarkeit schaffen: Soziale Medien sind auch für eine Universität heute unverzichtbar, «um nach aussen zu tragen, was hier alles passiert», sagt Maria Olivares. Der UZH Innovation Hub benutzt vor allem Linkedin und Instagram.

Sara Merz / Tina Aich Production

Welches ist das spannendste Projekt an der Uni im Moment?
Es fällt mir schwer, eines hervorzuheben. Sehr interessant finde ich die Entwicklungen eines Messgeräts zur Beobachtung der Sauerstoffsättigung bei Neugeborenen. Oder eine faltbare Drohne, die in Katastrophengebieten eingesetzt werden kann. Oder sensorbasierte Technologien für die Beobachtung von Vegetation und Landschaft, relevant im Zusammenhang mit klimabedingten Veränderungen.

Alle aus dem technologischen Bereich …
Wir setzen im Bereich Innovation Schwerpunkte, und zwar dort, wo wir schon stark sind: Biomedizin und Life Sciences, Digitalisierung, Luft- und Raumfahrt. Persönlich bin ich sehr daran interessiert, auch in Geisteswissenschaften das Thema Innovation voranzutreiben. Soziale Innovationen sind genauso relevant. Da wird sich noch einiges ergeben in den nächsten Jahren.

Ihr Kernteam besteht aus vier Frauen. Zufall?
Ein Unfall ist es nicht. Aber mir geht es nicht ums Geschlecht, sondern darum, dass in meinem Team Personen arbeiten, die mit Spirit, Engagement und Leidenschaft an die Arbeit gehen. Nach diesen Kriterien habe ich die Mitarbeitenden ausgewählt. Und ich arbeite sehr gern in meinem Team.

Nur zwei Prozent des Risikokapitals fliessen in Start-ups, die Frauen gründen. Was muss sich hier ändern?
Die Gründer- und die Investorenszene sind nach wie vor männlich dominiert.

«Das hat mit Stereotypen zu tun, die wir alle in unseren Köpfen haben. Da ist dringend Aufbauarbeit nötig. Vor allem braucht es unbedingt weibliche Rollenbilder.»

Wir gehen das aktiv an, indem wir bei unseren Programmen und Trainings immer auch weibliche Coaches und Expertinnen an Bord holen.

Wie präsent sind die Erfinderinnen in Ihrem Alltag?
Die Uni Zürich brachte bereits sehr spannende Spin-offs mit Chefinnen hervor: «, eine Firma, die menschliche Haut für Transplantationen züchtet, mit Daniela Marino an der Spitze. Oder Lionstep, ein Unternehmen für die Vermittlung von hoch qualifizierten Fachkräften und hoch spezialisiertem Personal mit Claudia Winkler als CEO. Ein drittes Beispiel ist Deana Mohr, die eine Zelltherapie zur Behandlung von Harninkontinenz entwickelt hat.

Bildung und Forschung sind für die Schweiz umso wichtiger, weil das Land keine Rohstoffe hat. Haben Sie Sorgen, dass wegen der Corona-Krise bei der Bildung mehr gespart wird
Bildung und Forschung sind zentrale Säulen, egal in welchem Land. Kürzungen kann man nie ausschliessen.

«Universitäten leisten als Orte für Innovation und Unternehmertum einen wichtigen Beitrag für den Wirtschaftsstandort Schweiz.»

Im Zuge von Corona wird zum Beispiel an neuen Impfstoffen geforscht, oder es werden klinische Studien durchgeführt.

Was ist Ihrer Meinung nach eine der grössten Erfindungen?
Die Erfindung des Penicillins. Mit Antibiotika agieren zu können, hat die Lebenserwartung von uns allen enorm erhöht. Früher waren schon ganz leichte Entzündungen möglicherweise tödlich. Und die Entwicklung des World Wide Web. Es entstand 1989 am Cern, als Nebenprodukt, als ein junger Physiker eine Plattform für den Austausch von Forschungszentren entwickeln wollte. Das hat alles verändert, unsere Kommunikation, wie wir arbeiten, wie wir leben.

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Damit künftig mehr Frauen in der Gründer- und Investorenszene vertreten sind, braucht es gute Vorbilder. Maria Olivares holt daher bewusst viele Mentorinnen und Expertinnen an Bord.

Sara Merz / Tina Aich Production

Die Digitalisierung ist ein wichtiger Bereich für Innovationen, sie bringt aber auch Gefahren mit sich, oder?
Ich würde eher sagen Herausforderungen. Die Technologie sollte nicht der Treiber unseres Handelns sein. Wir müssen uns immer hinterfragen: Wohin führt uns eine Entwicklung? Wollen wir in einer solchen Gesellschaft leben? Ethische Komponenten müssen frühzeitig berücksichtigt werden. Im Bereich Digital Health etwa ist das besonders wichtig. Es stellt sich auch die Frage, wie wir in Zukunft miteinander arbeiten wollen. Wie wichtig ist die Harmonie im Team, und wie entsteht sie?

Heisst das, die Aufhebung von Büroplätzen ist vielleicht nicht die Lösung, auch wenn Homeoffice funktioniert?
Genau, der wichtige persönliche Kontakt lässt sich nicht durch digitale Anrufe ersetzen. Wird es in Zukunft dennoch weniger Businessflüge geben? Das wird sich zeigen. Der Einfluss der Corona-Krise bietet einen Anstoss, darüber zu diskutieren. Wir sehen, dass die Natur schon in dieser kurzen Zeit positiv reagierte. Im Zusammenhang mit der Klimadiskussion werden weitere, bessere digitale Möglichkeiten geschaffen, um einander aus der Ferne nah zu sein.

Sie haben nebst Betriebswirtschaft auch Kulturwissenschaften studiert. Sind Sie mehr ein Zahlen- oder ein Sprachenmensch?
Beides. Und ich brauche zum Glück beides in meinem Beruf. Gerade bei uns, wo multidisziplinär gearbeitet wird, muss man sich auf die unterschiedlichen Sprachen einlassen. Für einen Naturwissenschaftler haben manche Begriffe eine völlig andere Bedeutung als für einen Sozialwissenschaftler.

Aha, zum Beispiel?
Geschäftsplan oder Pitch. Das ist für Naturwissenschaftler oder Betriebswissenschaftler ganz selbstverständlich. Auf Studierende von Geistes- und Sozialwissenschaften können diese Begriffe abschreckend wirken, die fühlen sich gar nicht angesprochen. Wenn man stattdessen sagen würde, dass es um kreatives Denken geht und darum, Lösungen zu entwickeln, dann fühlten sie sich gleichermassen abgeholt.

Auf Ihrem CV sah ich, dass Sie Grundkenntnisse in Spanisch und Russisch haben. Wow!
Ich habe die letzten Jahre in der DDR miterlebt, da hatten wir Russisch in der Schule. Ausserdem habe ich Wurzeln in Chile. Gerade dank digitalen Medien habe ich regelmässigen Kontakt zu den Verwandten dort und war auch schon häufig zu Besuch.

Sie werden zum ersten Mal Mutter. Wie wollen Sie Beruf und Familie vereinbaren?
Wir leben in einer innovativen Gesellschaft, da sollte diese Frage keine Bedeutung mehr haben. Diese Frage hätten Sie einem Mann kaum gestellt.

Vermutlich schon. Ich interessiere mich dafür, wie andere Eltern die Betreuung lösen. In der Schweiz sind Krippenplätze sehr teuer. Oft reduzieren die Frauen ihr Arbeitspensum stark, und die Rollen sind wieder klassisch verteilt.
Ich stimme Ihnen zu, es ist ein Thema, und das heisst, es ist noch nicht alles gelöst. Ich sehe mich da aber nicht allein in dieser Situation, anderen werdenden Eltern geht es gleich. Vieles kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten, aber ich gehe davon aus, dass wir das einfach meistern werden.

Was sind Ihre Ziele für die nächsten Jahre?
Beruflich freue ich mich unglaublich darauf, den Innovation Hub weiter aufzubauen und mit aktiven und vitalen Communitys zu stärken. Privat steht das bislang intensivste Abenteuer meines Lebens an. Ich möchte eine gute Mutter sein.

Schauen Sie optimistisch in die Zukunft?
Ja! Gerade in meinem Job, wo es um Innovationsförderung geht, muss man eine optimistische Grundhaltung haben. Zu viel Zweifel wäre da nicht förderlich. Immer wieder neue Ziele setzen, das können wir nur, wenn wir zuversichtlich in die Zukunft blicken.

Von Nina Huber am 24. Juni 2020 - 13:03 Uhr