Eigentlich immer dieselben. Die Beleidigungen und Drohungen im Internet sind austauschbar. Ausblenden lassen sie sich trotzdem nicht. Schon 2013 berichteten Feministinnen nach der Kampagne #Aufschrei (gegen alltägliche sexualisierte Gewalt) von Erfahrungen mit digitaler Hassrede.
Schon seit über sechs Jahren gedeiht die Idee zum Projekt Stopp Hate Speech (lanciert 2020) bei Sophie Achermann vom Frauendachverband Alliance F. Das es etwas braucht, eine Art Frühwarnsystem mit einem Algorithmus, der im Internet nach potenziellen Shitstorms schnüffelt und sie proaktiv zu verhindern versucht, daran denkt die Geschäftsführerin «seit ich 2015 an der Uno-Konferenz einen Workshop zum Thema Sexismus im Internet leitete.»
Seit dem letzten Jahrzehnt also. Seitdem ist eigentlich alles nur noch schlimmer geworden. Mittlerweile trifft es nicht mehr ausschliesslich Aktivist*innen oder Politiker*innen, sondern auch Wissenschaftler*innen, Professor*innen oder Virolog*innen. «Das globale Phänomen der Hassrede im Internet hat in den beiden Jahren der Covid-Pandemie ein alarmierendes Ausmass angenommen», schreibt Alliance F in einer Medienmitteilung.
Woran fehlt es?
Es fehlt auch nach Jahren an so vielem: An dem Bewusstsein über Dynamiken im Netz, am Wissen über Desinformationstaktiken, wie man Fake-News erkennt, darüber, wie man Hass-Kommentaren am besten begegnet. Die erste wissenschaftliche Schweizer Studie dazu kommt nun von der ETH und der Universität Zürich.
Eine experimentelle Feldstudie. Das Feld: Twitter – natürlich – und die Hassnachrichten von über 1300 Nutzer*innen. Experimentiert wurde mit verschiedenen Strategien, auf Hass zu reagieren. Die darauffolgenden Gegenreaktionen wurden studiert. Erfolg mass man daran, ob der ursprüngliche Tweet gelöscht wurde und wie häufig sich der oder die User*in danach noch negativ äusserte. Die Strategien waren Humor (mit Memes zu antworten), mit Abmahnungen oder Empathie. Nur letztere führte zu einer Reduzierung von Hatespeech, wenn auch nur zu einer relativ geringen.
Es braucht Gegenstimmen und Appelle an die Empathie
«Ihr Post ist für Jüdinnen und Juden sehr schmerzhaft» wird als Beispiel genannt. Ein Appell an die Empathie der Urheberin oder des Urhebers eines gehässigen Kommentars. «Wir haben sicherlich kein Allheilmittel gegen Hass im Internet gefunden», sagt Studienleiter Dominik Hangartner, «aber wichtige Hinweise, welche Strategien funktionieren und welche nicht.»
Es macht Sinn, was uns die Wissenschaft hier vermittelt. Mit Hass lässt sich prima eine Menge Aufmerksamkeit generieren – aber nur dann, wenn sie ungezügelt ist. Es muss klar werden: Der Ball liegt bei jeder und bei jedem von uns.
Ausserdem ist es wichtig, zu verstehen: Hass ist halt kein Problem des Internets. Online-Äusserungen haben offline Konsequenzen. Hass frisst sich in unser Denken, in unsere Gesellschaft, er manifestiert sich in physischer Gewalt (Vergleich: Sturm aufs Kapitol in den USA Anfang des Jahres).
Es reicht nicht, mit dem Finger auf den Gesetzgeber oder die sozialen Netzwerke zu zeigen und darauf zu warten, dass jemand eine einfache Lösung für ein komplexes Problem präsentiert. Viel wichtiger ist es, selbst aktiv zu werden, Hatespeech klar zu benennen, den Hass nicht weiterzuverbreiten und sachlich dagegen anzuschreiben.