Die Wissenschaft belegt: Schwierige Erziehungserfahrungen können von Generation zu Generation weitergegeben werden. Kinder, die beispielsweise eine vernachlässigende Erziehung erlebt haben, tragen ein Risiko, ihre eigenen Kinder ebenfalls so zu behandeln. Denn sie haben von ihren Eltern nie gelernt, wie ein empathischer Umgang in der Erziehung funktioniert, wie Probleme gelöst und Bedürfnisse wahrgenommen werden können.
Auch Prinz Harry, 36, nahm seine Erziehung als solche Negativspirale «des Schmerzes und des Leidens» wahr. In seinem Gespräch mit den Machern des Podcasts «Armchair Expert», verurteilte Prinz Harry den royalen Erziehungsstil, den die britische Königsfamilie von Generation zu Generation weitergibt.
«Es ist nicht meine Absicht, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen oder jemandem die Schuld zuzuweisen. Aber wenn der Schmerz und das Leid meiner Erziehung dadurch begründet sind, dass mein Vater oder meine Eltern ebenfalls gelitten haben, dann werde ich hier einen Schlussstrich ziehen und diesen Zyklus durchbrechen, sodass ich diese Dinge selber nicht weitergebe.»
Dass Erziehungstraumata von Eltern an ihre Kinder weitergegeben werden, bestätigt auch die deutsche Familienberaterin Ruth Marquardt. Das liege daran, dass Kinder als unbeschriebene Blätter zur Welt kämen und dann das elterliche Verhalten kopierten. «Selbst wenn wir es furchtbar fanden, angeschrien zu werden, selbst wenn wir es schrecklich fanden, dass der Vater nie da war – auf einmal verhalten wir uns auch ganz ähnlich.» Diesen Kreislauf zu durchbrechen sei enorm wichtig, so Marquardt.
Auch Prinz Harry ist überzeugt, dass Eltern die Verpflichtung haben, ihre Kinder dafür zu schützen, dass Schmerz und Traumata über Generationen weitergegeben werden. «Wir Eltern sollten unser Bestes geben und sagen: Weisst du was, mir ist das passiert, aber ich werde dafür sorgen, dass es dir nicht passiert», so Harry, der mit Herzogin Meghan, 39, den zweijährigen Sohn Archie hat und im Juni ein Töchterchen erwartet.
«Er behandelte mich so, wie er selbst behandelt worden war»
Prinz Harry über seinen Vater, Prinz Charles
Zu dieser Überzeugung ist Prinz Harry gelangt, nachdem er sich vertieft mit der Kindheit seines Vaters, Prinz Charles, 72, auseinandergesetzt hat. «Es war mir nie bewusst, bis ich anfing, das Bild zusammenzufügen.» Ihm sei bewusst geworden, dass alles zusammenhängt: Charles Erlebnisse und seine eigenen. «Er behandelte mich so, wie er selbst behandelt worden war», sagt Harry über seinen Vater, der als sensibler und schüchterner Junge unter der eher distanzierten Erziehung seiner Eltern, Queen Elizabeth und Prinz Philipp, gelitten haben soll. Harrys grösste Mission als Vater ist es nun, diesen Kreislauf für seine eigenen Kinder zu durchbrechen.
Den ersten Schritt dafür hat Prinz Harry laut Ruth Marquardt bereits gemacht. Die Familienberaterin sagt, dass sowohl die emotionale, wie auch die räumliche Abnabelung eine wichtige Rolle spiele in diesem Prozess.
Beides scheint Harry seit seinem Wegzug aus Grossbritannien und der Aufgabe royaler Pflichten erfolgreich aufgegleist zu haben. Das Wichtigste aber ist, dass ihm die Zusammenhänge bewusst sind und er bereit ist, daran zu arbeiten. «Für mich spricht durch die Worte von Prinz Harry ganz viel Weisheit darüber, wie die Psyche funktioniert», sagt Ruth Marquardt zu RTL. «Er hat, scheint mir, gelernt, dass sich Geschichte wiederholt, wenn wir sie uns nicht bewusst machen.»