Auf die Minute pünktlich betritt Vincent Kucholl (47) die Lobby des Hotels Schweizerhof in Bern, wo das Fotoshooting mit der Schweizer Illustrierten stattfindet. Beat Schlatter (62) erscheint fünf Minuten später. «Tja, ein Klischee hätten wir damit schon mal widerlegt», meint er lachend. Das Gerücht, dass Westschweizer nicht besonders viel Wert auf Pünktlichkeit legen, trifft auf den Lausanner Kucholl offensichtlich nicht zu.
Vorurteile gibt es viele, was den sprichwörtlichen Röstigraben zwischen den Sprachregionen der Schweiz betrifft. Die Komödie «Bon Schuur Ticino» von Regisseur Peter Luisi (ab 30. November im Kino) nimmt sie gnadenlos, aber liebevoll auf die Schippe. Die Handlung: Per Abstimmung wird beschlossen, dass es in der Schweiz nur noch eine Landessprache gibt: Französisch. Beat Schlatter als Bundespolizist und Vincent Kucholl als sein welscher Kollege müssen den Übergang in die Einsprachigkeit organisieren und dabei die aufmüpfigen Tessiner in Schach halten. «Nur schon die Idee ist wahnsinnig witzig», sagt Beat Schlatter. «Man stelle sich vor, die gesamte Deutschschweiz muss plötzlich Französisch reden. Ein Desaster.»
Der Zürcher weiss, wovon er spricht, beschränken sich doch seine eigenen Französischkenntnisse auf «oui», «non» und «au secours!» («Hilfe!») – und Letzteres kann er auch nur, weil ers im Film sagen muss. Vincent Kucholl findet zwar, er spreche Deutsch «wie eine spanische Kuh», kann sich jedoch auf Hochdeutsch ganz gut verständigen. «Aber sicher nicht so gut, wie es nach acht Jahren Deutschunterricht möglich wäre. Wobei das Wissen, dass wir in der Schule eine Sprache lernen, die man in Zürich oder Bern gar nicht wirklich spricht, auch nicht besonders hilfreich ist.»
Der Stadt-Land-Graben ist tiefer
Vor der Kamera des SI-Fotografen versteht sich das Duo wortlos. Ein Blick, ein Nicken, ein Grinsen, und schon werden Posen eingenommen, Gesichter geschnitten, Klamotten getauscht. Und immer wieder wird laut losgelacht. Man merkt deutlich: Die beiden haben denselben Humor. «Le Röstigraben? Welcher Röstigraben?», meint Kucholl auf die Frage, ob dieser auch beeinflusse, was man lustig findet und was nicht. «Der ist nicht besonders tief», ergänzt Schlatter. Und fügt an: «Ich glaube, der Graben zwischen Stadt und Land ist viel tiefer als der zwischen den Sprachregionen. Das merkt man ja bei jeder Abstimmung.»
Davon, dass viele gegenseitige Vorurteile nicht stimmen, haben sich sowohl Beat Schlatter als auch Vincent Kucholl bei diversen Besuchen in der jeweils anderen Region überzeugt. Schlatter: «Sie trinken nicht alle schon zum Zmittag eine Flasche Weisswein.» Und Kucholl: «Die Deutschschweiz ist keine kulinarische Wüste. Auch wenn ich Riz Casimir fragwürdig finde.»
Eine grosse Rolle spielt die Sprachgrenze hingegen in Sachen Kultur. So kann Beat Schlatter kaum durch Zürich gehen, ohne erkannt zu werden, während sich in Lausanne oder Genf niemand nach dem Comedian umdreht. Und Vincent Kucholl gilt als einer der grössten Stars der Westschweiz, während ihn in unseren Gefilden kaum jemand kennt. Das dürfte sich allerdings bald ändern.
Denn Kucholl ist nicht nur demnächst auf der grossen Leinwand zu sehen, sondern auch bereits jetzt am TV-Bildschirm: Gemeinsam mit Vincent Veillon, mit dem er das legendäre RTS-Comedy-Format «52 minutes» hat, tritt er in «Tschugger» auf. Die beiden spielen ein nicht ganz lupenreines Unterwalliser Polizisten-Duo. Kucholls Rolle ist zwar weitgehend stumm, er hat aber beim Dreh sein Deutsch-Repertoire um zwei Worte erweitert: «Vokuhila» (Vorne kurz, hinten lang) und «Oliba» (Oberlippenbart) – die (Gesichts-)Behaarung, die er in der Serie trägt («Eine Perücke – zum Glück»).
Im Gegensatz zu Beat Schlatter muss Vincent Kucholl in seiner Kindheit nicht mit träfen Sprüchen versuchen, von seinen unterirdischen Leistungen in der Schule abzulenken. «Ich war aber auch schon damals witzig.» Nach seinem Studium der Politikwissenschaften erfüllt sich Kucholl einen Kindheitstraum und besucht eine Schauspielschule. «Dass ich heute mit politischem Kabarett beides verbinden kann, ist optimal», sagt der Vater einer kleinen Tochter (Baby Nummer 2 ist unterwegs).
Dass ihm – beziehungsweise seinen Parodien – dabei von ennet des Röstigrabens auch mal vorgeworfen wird, «die unterste Schublade zu ziehen, wenn es um Deutschschweizer geht» (in der «Weltwoche»), nimmt Vincent Kucholl gelassen: «Wer in diesem Land Comedy mit politischem Inhalt macht, muss sich ja an die politische Macht Bern und die wirtschaftliche Macht Zürich richten. Das sind doch keine Statements gegen die Deutschschweiz im Allgemeinen.» Am wichtigsten sei, dass man über sich selbst lachen könne. «Und ich glaube, das kann man sowohl in der Deutsch- als auch in der Westschweiz sehr gut. Wir nehmen uns grundsätzlich nicht so ernst, nur schon weil wir auf der Landkarte so wenig Platz einnehmen.»
Ein Teil unserer Identität
Was also hat es nun auf sich mit diesem ominösen Röstigraben? «Ich glaube, uns verbindet mehr, als uns trennt», sagt Beat Schlatter. «Wir lieben dieselben Dinge – oder regen uns über sie auf», ergänzt Vincent Kucholl. «Die Autobahn, die SBB, Coop und Migros …» Die Mehrsprachigkeit – und damit auch der Röstigraben – sei ein Teil unserer Identität, so Beat Schlatter. «Eine einsprachige Schweiz? Unvorstellbar.»
Die Bilder sind im Kasten. Ein letzter Espresso, dann trennen sich die Wege der beiden Comedians – der eine fährt im Zug nach Zürich, der andere nach Lausanne. Eines müssen sie aber noch ausprobieren: Auf der Handyübersetzer-App geben sie ein: «Wo geht es zum Ausgang?» Zum ihrem Erstaunen funktioniert es nicht schlecht. «Trotzdem etwas mühsam», findet Schlatter. Kucholl lacht, legt seinem Kollegen die Hand auf die Schulter und nickt mit dem Kopf Richtung Tür. Warum kompliziert, wenns auch wortlos geht?