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Der ganz normale Wahnsinn

Ich und meine Kaiserschnittnarbe - eine jahrelange Hassliebe

Wenn Wetter und Temperaturen so sehr schwanken, wie das momentan der Fall, spürt unsere Familienbloggerin immer wieder ihre Kaiserschnittnarbe. Zu dieser hat sie seit fast fünfzehn Jahren ein gespaltenes Verhältnis.

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Sandra Casalini, bei sich zu Hause in Thalwil, mit ihren Kindern Gian und Joya, am 04.12.2018, Foto Lucian Hunziker

Während das erste Kind unserer Familienbloggerin in einer natürlichen Geburt das Licht der Welt erblickte, musste Nummer zwei per Kaiserschnitt geholt werden. Mit der entstandenen Narbe verbindet sie eine Hassliebe. 

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Ich habe keine Ahnung, warum das so ist, aber bei Wetterumschwüngen macht sich immer noch meine mittlerweile doch schon ziemlich alte Kaiserschnittnarbe bemerkbar. Irgendwie scheint sie mich regelmässig daran erinnern zu wollen, dass sie noch da ist – und dass sie es immer sein wird. Als ob ich das nicht wüsste.

Niemand wollte die Verantwortung

Ich hatte immer ein bisschen ein seltsames Verhältnis zu dieser Narbe. ich wusste schon, dass es sie dereinst geben würde, bevor sie überhaupt existierte. Dabei setzt man sich zu diesem Zeitpunkt ja ausschliesslich mit dem Akt des Kaiserschnitts selbst auseinander und nicht mit dessen Folgen.

«Als mich meine Frauenärztin informierte, dass weder sie noch das Spital die Verantwortung einer Geburt aus Steisslage übernehmen wollten, kam ich ins Grübeln. Wobei ich beim Gedanken, keine stundenlangen Wehen ertragen zu müssen, ganz ehrlich gesagt auch erleichtert war. Was ich zu diesem Zeitpunkt niemals zugegeben hätte.»

Als mein Sohn bei einem Ultraschall im achten Monat noch immer in Steisslage hockte, dachte ich mir nicht wahnsinnig viel dabei. Es wurden schon einige Babys aus Steisslage geboren, und schliesslich war dies mein zweites und mein Becken von der ersten Geburt noch ausgeleiert, also was sollte es. Dachte ich. Als mich meine Frauenärztin informierte, dass weder sie noch das Spital die Verantwortung einer Geburt aus Steisslage übernehmen wollten, kam ich ins Grübeln. Wobei ich beim Gedanken, keine stundenlangen Wehen ertragen zu müssen, ganz ehrlich gesagt auch erleichtert war. Was ich zu diesem Zeitpunkt niemals zugegeben hätte.

Zeugnis meines Versagens

Mein Sohn nahm mir den Entscheid ab, als er sich im mehr oder weniger letzten Moment noch zu drehen versuchte und quer in meinem Bauch steckenblieb. So war eine natürliche Geburt ausgeschlossen. Wobei ich heute zugeben kann: Ich hätte ihn wohl auch bei einer «reinen» Steisslage mit Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Nur schon deswegen, weil es mir einfach viel zu mühsam gewesen wäre, eine Frauenärztin und ein Spital zu suchen, welche gewillt waren, die Geburt überhaupt durchzuführen.

«Natürlich bin ich alles in allem extrem froh, dass es diese Narbe überhaupt gibt. Ohne die Möglichkeit eines Kaiserschnitts hätte mein Sohn seine Geburt nicht überlebt. Und ich vermutlich auch nicht.»

Aber genau das führte dazu, dass ich diese Kaiserschnittnarbe irgendwie immer auch ein bisschen als Zeugin meines Versagens wahrnahm. Weil ich froh war, dass sie mir die Wehen ersparte. Weil ich nicht Willens war, mir für mein Baby die Mühe zu machen, eine andere Ärztin und ein anderes Spital zu suchen. Auch wenn ich am Ende keine andere Wahl hatte.

Die Schmerzen fangen erst an

Natürlich bin ich alles in allem extrem froh, dass es diese Narbe überhaupt gibt. Ohne die Möglichkeit eines Kaiserschnitts hätte mein Sohn seine Geburt nicht überlebt. Und ich vermutlich auch nicht. Sie ruft aber auch immer wieder mal Erinnerung an ein Wochenbett wach, das von Schmerzen geprägt war, die ich mir nicht hätte vorstellen können. Denn während bei einer natürlichen Geburt die Schmerzen mit der letzten Wehe mehr oder weniger vorbei sind, fangen sie bei einem Kaiserschnitt nach dem Gebären erst richtig an.

«Zwei Tage nach der Geburt meines Sohnes konnte ich noch nicht mal allein aufs WC. Ich werde das Gefühl, wenn dich zwei Leute aufs Klo bringen müssen und dir die Hose runterziehen, nie wieder vergessen.»

Und es kommt noch eine andere Erfahrung dazu: die Hilflosigkeit. Zwei Stunden nach der natürlichen Geburt meiner Tochter spazierte ich, trotz Dammschnitt, bereits wieder herum. Zwei Tage nach der Geburt meines Sohnes konnte ich noch nicht mal allein aufs WC. Ich werde das Gefühl, wenn dich zwei Leute aufs Klo bringen müssen und dir die Hose runterziehen, nie wieder vergessen. Auch nicht dasjenige, dass ich mein Neugeborenes nicht selbst wickeln oder anziehen konnte. Geschweige denn herumtragen, um es zu beruhigen.

Ausserdem – und das muss man auch mal sagen dürfen – ist das Ding einfach hässlich. Vor fünfzehn Jahren war es sozusagen der heisseste Scheiss in Sachen Kaiserschnitt, die Narbe nicht zuzunähen, sondern sie zu klammern, mit einer Art Bostitch. Das war viel einfacher, vor allem auch, weil Wochen später einfach die Klammern entfernt werden mussten. Inzwischen ist man, glaub ich, wieder davon abgekommen. Vermutlich nicht zuletzt deshalb, weil diese Praxis einen hässlichen Wulst hinterlässt, der nie wieder verschwindet, egal wie flach dein Bauch sonst ist. Dazu kommt, dass sich die Narbe genau auf der Höhe von Hosenbund und Co. befindet, was zb dazu führt, dass dieser gruusige Wulst in der Badi immer über den Bund des Bikinihöschens lappt. Ich weiss, es gibt Wichtigeres. Aber man muss auch mal sagen dürfen, wenn man unwichtige Dinge nicht lustig findet.

Ich liebe diese Narbe

Natürlich steht die Narbe in erster Linie dafür, dass ich ein wundervolles Baby zur Welt gebracht habe, das ich auch noch als nervenden Teenager keinen einzigen Tag missen möchte. Und deshalb liebe ich sie. Auch wenn ich sie gerade in wetterfühligen Zeiten wie diesen immer wieder mal verfluche.

Mehr von Familien-Bloggerin Sandra C. lest ihr hier.

 

 

 

Familienbloggerin Sandra C.
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Von Sandra Casalini am 13. März 2021 - 17:00 Uhr