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Peinlich, peinlich

Der Struggle mit dem Rotwerden – warum ist das so?

Hi, mein Name ist Laura, ich bin 33 Jahre alt und ich werde ständig rot. Weil es nichts gibt, was ich an meinem Körper mehr hasse, habe ich eine Expertin gefragt, woran das liegt und ob ich etwas dagegen tun kann …

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Warum werden wir rot?

Style-Redaktorin Laura würde gerne regelmässig im Erdboden versinken – immer dann, wenn sie merkt, dass sie knallrot wird.

Style

«Your Body is a Wonderland» säuselte Herzensbrecher John Mayer einst über die Gitarre hinweg in sein Mikrofon. Meinen Body kann er damit nicht gemeint haben. Der ist nämlich weniger Wonderland als viel mehr blöde Nervensäge. Zumindest vom Hals aufwärts.

Triff mich auf der Strasse und du weisst, wovon ich rede. Wer mich nämlich unverhofft anspricht, der bekommt das dümmste Feature meines Körpers unmittelbar auf dem Silbertablett serviert. Du sagst «Hallo», ich werde rot. Das Level unserer Freundschaft spielt dabei keine Rolle. Du kannst ein ehemaliges Date, ein entfernter Bekannter, meine beste Freundin oder sogar meine Schwester sein – meinem Teint bumsegal, der spielt verrückt. Das gleiche Phänomen ist beim Sprechen in grösseren Gruppen zu beobachten. Ob unter Freunden, Arbeitskollegen oder Wildfremden, völlig wurst. 

Jaja, du bist halt unsicher, mögen jetzt viele seufzen. Der Punkt ist nur: Bin ich nicht. Jedenfalls nicht, wenn ich meine Schwester treffe oder mich mit einem Arbeitskollegen in der Büroküche übers Wetter unterhalte. Dass es mir trotzdem in einer Tour die Hitze und Röte ins Gesicht treibt, ist ehrlich gesagt ziemlich belastend. Tendenz steigend, je mehr ich darüber nachdenke. Geht es denn nicht irgendwie ohne? Kann mein Körper sich mit Mitte 30 nicht endlich mal zusammenreissen? Das habe ich Dr. phil. Melanie Braun gefragt. Die eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin kennt sich bestens mit Stressfolgeerkrankungen und Angststörungen aus und weiss genau, wie sehr Betroffene unter dem ständigen Erröten leiden können.

Style: Was passiert überhaupt in unserem Körper, das uns die Röte ins Gesicht jagt? Kann jeder rot werden?
Dr. phil. Melanie Braun: Prinzipiell kann jeder erröten, dieser Vorgang ist völlig normal. Allerdings ist es nicht bei jedem gleichermassen offensichtlich. Die Sichtbarkeit des Errötens ist von der Hautfarbe und -beschaffenheit, dem Teint und der Lage der Gesichtsadern abhängig. Sprich von Faktoren, die unsere physische Konstitution betreffen. Dass ein Mensch sichtbar errötet und ein anderer nicht, bedeutet daher nicht zwangsläufig, dass die zweite Person nicht rot wird, sondern nur, dass man es ihr nicht ansieht. Die gleiche Wärme an Gesicht, Hals und Ohren empfindet sie meist trotzdem. Die Wahrnehmung, dass «nur ich» erröte, wenn ich zum Beispiel eine fremde Person anspreche oder meinem Chef zum Geburtstag gratuliere, ist also falsch.

Gibt es trotzdem auch einen Zusammenhang mit unseren Charaktereigenschaften? Sind Menschen, die häufig rot werden, zum Beispiel besonders schüchtern, unsicher oder nervös?
Es gibt eine Reihe verschiedener Faktoren, die mit der Neigung zum Rotwerden zusammenhängen. Einerseits genetische Aspekte, die unsere Hautbeschaffenheit, unsere Angstneigung und unsere Belastbarkeit beeinflussen. Andererseits gibt es akute Faktoren, die uns leichter erröten lassen, weil sie uns stressempfindlich machen. Das sind zum Beispiel Schlafmangel, ein ungesunder Lebensstil und körperliche Anspannung, aber auch die individuelle Angstbereitschaft. Eindeutige Rückschlüsse auf die Ängstlichkeit oder die Persönlichkeit einer Person sind daher nur schwierig zu ziehen. Starkes Erröten kann mit einer erhöhten Angstneigung korrelieren, muss aber nicht. Es kann je nach Situation mit unangenehmen Emotionen zusammenhängen, die die eigene Person betreffen. Das Erröten wird oft bei den Gefühlen Scham, Stolz, Unsicherheit, Schüchternheit, Schuld, Peinlichkeit und Verlegenheit erlebt. Es gibt aber auch Menschen, die bei Ärger oder Überraschung rot werden. Nicht der Vorgang an sich hängt also mit der Persönlichkeit zusammen, sondern die Bedeutung, die ihm gegeben wird. So entsteht häufig ein Teufelskreis für Betroffene: Sobald sie die Emotionen empfinden, die sie mit dem Rotwerden verknüpfen, folgt einerseits unmittelbar die Erwartung zu erröten und andererseits die Bewertung, dass es schlimm, peinlich, schrecklich oder demütigend ist, wenn das jemand sieht. 
Diese Spirale kann so belastend sein, dass sie zu einem pathologischen Leid führt: Die sogenannte Erythrophobie wird als Spezialfall der sozialen Phobie eingeordnet.

Hat das Rotwerden wenigstens irgendeinen Mehrwert für den Körper?
Es ist einerseits eine ganz normale Reaktion des Körpers, andererseits auch eine sehr sinnvolle und gesunde Fähigkeit, die Körpertemperatur zu regulieren. Wenn die ansteigt, will der Organismus sie reduzieren. Das macht er durch eine Erweiterung der Blutgefässe. Das erklärt auch, warum Menschen, bei denen diese Erweiterung sichtbar ist, nicht zwangsläufig nur in emotionalen Situationen erröten, sondern auch bei Hitze, körperlicher Anstrengung, veränderter Atemfrequenz oder ähnlichem. 

Ich finde es trotzdem gemein, dass ich bei jeder Kleinigkeit rot werde – auch in Situationen, die mir gar nicht unangenehm sind.  
Neben Scham, Angst und Peinlichkeit gelten auch Kaffee, Alkohol, Hitze, Fieber, Anstrengung, Eifer, kalte Temperaturen und negative Gefühle als typische Auslöser. Es müssen also nicht zwangsläufig unangenehme Situationen sein, die das Rotwerden hervorrufen. Die Fokussierung und das Lenken der Aufmerksamkeit auf das Erröten stellt ausserdem einen grossen Katalysator des Problems dar. Allein die Bedeutung, die Sie und andere Betroffene dem Erröten geben, dass Erröten schlimm und peinlich ist, kann zum Erröten führen.

Die meisten Artikel zu dem Thema raten mir, mich einfach mit der Tatsache anzufreunden und als Teil meiner Persönlichkeit zu akzeptieren … Ich würde mir das Rotwerden aber lieber abtrainieren oder sonst irgendwie dagegen vorgehen. Geht das?
Der Umgang mit Errötungsangst orientiert sich am Vorgehen der Behandlung sozialer Ängste. Es kann entlastend sein zu lernen, die Aufmerksamkeit von der übertriebenen Körperwahrnehmung wegzulenken und sich ganz bewusst auf etwas anderes zu konzentrieren – zum Beispiel die Nase des Gesprächspartners, den eigenen kleinen Zeh, die Speisekarte … Ebenso wichtig ist die Bearbeitung der katastrophisierenden Bewertung des Errötens: Muss ich denn überhaupt immer von jedem als souverän, stark, gelassen oder perfekt wahrgenommen werden? Was ist so schlimm daran, wenn jemand meinen könnte, ich wäre gerade nervös oder unsicher? Denkt wirklich jemand, dass ich unfähig, inkompetent oder unattraktiv bin, weil ich gerade erröte? Ich persönlich habe vor einigen Jahren an einem internationalen Psychologiekongress renommierte Professoren beim Referieren beobachtet und mit Freude und Überraschung festgestellt, dass nahezu alle Redner körperliche Stressreaktion zeigten. Zitternde Hände, ein rotes Gesicht, eine holprige Stimmlage, Schweiss. Trotzdem werden diese Menschen verehrt und geschätzt.

In der Therapie der Erythrophobie ist es für viele Betroffene sehr hilfreich, das Erröten zu üben. Ist beispielsweise Scham der Auslöser, kann das Konfrontieren mit schambesetzten Situationen zu einer Gewöhnung führen. Schamgefühle werden aushaltbar und verlieren an Bedeutung. Diese Übung kann langfristig dazu führen, eine Art Toleranz zu entwickeln und weniger schnell und oft zu erröten. Vielen hilft es auch, das eigene Rotwerden direkt anzusprechen – «Vielen Dank für die Blumen, es freut mich so, dass ich direkt rot werde». Das kann die Situation auf humorvolle Weise entschärfen und führt in der Regel dazu, dass Häufigkeit und Intensität des Errötens abnehmen.  

Menschen mit richtiger Erythrophobie wollen am liebsten gar nicht mehr mit anderen interagieren. Ein Teufelskreis. Wie kommt man denn da bloss wieder raus?
Teil der Behandlung der Errötungsangst und jeder anderen sozialen Angstproblematik ist das Beenden des Vermeidungsverhaltens – in diesem Fall zum Beispiel nur noch im Dunkeln das Haus verlassen, viel Make-up tragen, sich anderen gegenüber abweisend verhalten – und der Aufbau von sozialen Kompetenzen und Fähigkeiten zur Stressbewältigung. Erythrophobiker lernen in der psychologischen Behandlung nicht, weniger rot zu werden, sondern erstens das Rotwerden auszuhalten und mit Gefühlen wie Scham, Angst, Peinlichkeit und Selbstzweifel umzugehen und zweitens Selbstsicherheit und soziale Kompetenz aufzubauen. Selbstsicherheit bedeutet natürlich nicht zwangsläufig, dass mir das Rotwerden nicht unangenehm sein darf. Aber die eigenen Stärken und Schwächen anzunehmen, Freundschaften und Beziehungen positiv zu gestalten, die eigenen Grenzen zu kennen und zu wahren, Bedürfnisse ernst zu nehmen und zu kommunizieren, nein zu sagen, Wünsche zu äussern und sich selbst wie einen guten Freund mit Wohlwollen und Selbstachtung zu behandeln.

Vielen Dank ♡

Von Laura Scholz am 17. November 2019 - 10:30 Uhr