Bald Schluss mit Blay: Die Schweizer Illustrierte begleitet Bligg und Marc Sway bei ­ihrem letzten Auftritt vor dem grossen Finale

19.30 Uhr. «Hoi, Blay.» Der Tontechniker, der Bligg, 45, und Marc Sway, 43, bei deren Ankunft am Openair Etziken SO sozusagen auf einen Streich begrüsst, entlockt dem Duo ein Schmunzeln. «Gut, oder?», fragt Sway. Bligg nickt. Sieht ganz so aus, als sei das Zusammenspiel der beiden Musiker mehr als der Flirt, als der er anfangs gedacht war.

«Mir sind doch au nur us Mänsch, Chnoche und Fleisch. Es Herz, wo schlaht, Seele und Geischt.»

Zwei Menschen, zwei Zürcher, zwei musikalische Einzelkämpfer. Kennen tun sie einander seit über zehn Jahren, genauso lange stehen gemeinsame Fischchnuschperli-Essen auf dem Programm. Und immer wieder mal eine Zusammenarbeit. Manchmal unter «Lebensgefahr». Als Marc für eine Aufnahme zwei Tage früher aus den Familienferien abreist, macht seine Frau Séverine eine unmissverständliche Ansage: «Wenn das kein Hit wird, reisse ich euch beiden den Kopf ab!» «Us Mänsch» hält sich 26 Wochen lang in der Schweizer Hitparade. Und eine Idee ist geboren: «Wollen wir nicht mal mehr zusammen machen als nur einen Song?» Aber eben – Zeit ist ein knappes Gut im Leben von zwei der erfolgreichsten Musiker des Landes.

20.15 Uhr. Essenszeit. Beide lassen sich Ravioli mit Tomatensauce schöpfen, sitzen gemeinsam am Tisch, quasseln drauflos. Über Musik, News, Politik, die Themen gehen ihnen nie aus. Schlagzeuger Simon Britschgi setzt sich dazu, reibt die müden Augen. Vor ein paar Wochen ist er zum zweiten Mal Papa geworden, ein kleines Mädchen. «Erzähl mal, es war echt eine Sturzgeburt?», fragt Bligg. Und Marc: «Hattet ihr lange Wehen davor? Waren sie stark? Wann seid ihr ins Spital?» Führen hier wirklich gerade drei Musiker eine intensive Diskussion übers Kindergebären, während der belgische Popstar Milow auf der Bühne sein sehr explizites «Ayo Technology» singt?

«Papa chunnt wieder. Glaub mer, dass ich weiss, Ciao säge tuet weh, aber Papa chunnt wieder.»

Jedes einzelne Mal, wenn er sich von Lio, 7, und Vivienne, 2, verabschieden muss, «fällt mir das extrem schwer», sagt Bligg. Dass er heute in einem Hotel in der Nähe übernachtet, ist eine Ausnahme. Wann immer es geht, fährt er nach Hause, nach Zürich zu seiner Familie. «Die Zeiten, als man sich die Nächte um die Ohren schlug, sind definitiv vorbei. Jetzt ist eine andere Phase im Leben.» Marc nimmt die Töchter Naomi, 13, und Nahla, 10, auch mal mit an einen Auftritt. «Ich finde es wichtig, dass sie sehen, womit ich mein Geld verdiene. Sie haben einen sehr respektvollen Umgang mit Musik und Kunst.»

21.45 Uhr. Die Nervosität steigt. Während Blay einander bisher nicht von der Seite wichen, braucht Marc Sway nun einen Moment allein. Er schlüpft aus seinen schwarzen Hosen und steigt in andere schwarze Hosen («Für die Bühne muss es einfach was anderes sein, auch wenns gleich aussieht»), macht Stimm- und Atemübungen. Bligg gönnt sich derweil in der Garderobe nebenan noch ein Bierchen mit Milow. Dann macht sich auch bei ihm langsam Anspannung breit. Er stellt sich neben Marc, die beiden schauen sich gemeinsam im Spiegel an. Atmen tief durch, umarmen einander.

«Was mer allei nöd schaffed, schaffemer mitänand. Egal woher, egal wohi, am Änd vom Tag hämmer s gliche Ziel. Lönd eus Berge versetze.»

Covid ist Fluch und Segen zugleich für Bligg und Marc Sway. Ohne Auftritte haben sie endlich Zeit, zu Blay zu werden. «Heimspiel» heisst das gemeinsame Baby. Es schiesst bei der Veröffentlichung direkt an die Spitze der Hitpa- rade, hält sich 13 Wochen lang in den Charts. Es hätte ein einmaliges Resultat eines kurzen Flirts sein sollen. Eines allerdings, das man stolz mit den Fans teilt, sobald das wieder geht. Es geht nicht. Wochen- und monatelang, schliesslich über ein Jahr. «Marc hat mich durch diese Zeit getragen», sagt Bligg. «Wäre ich immer allein im Studio gewesen, hätte ich wohl nicht viel gemacht.»

23 Uhr. Showtime. Die Menge jubelt, als Blay gemeinsam die Bühne betreten. Das Duo weiss, was die Fans wollen. Sie wollen Blay, sie wollen «Denkmal». Aber sie wollen auch Bliggs «Rosalie» und Sways «Severina». Bligg und Sway geben einander auf der Bühne Raum für ihr eigenes Ding, finden immer wieder zusammen – und haben mindestens genauso viel Spass wie das Publikum. Pure Harmonie. Bis zum letzten Ton.

«Du bisch viel z früeh gange, z spaat hämmers gmerkt. Vieles isch hütt anderst, was no staht, isch de Schmerz.»

Wer sich auch ohne Worte versteht, teilt die gleiche Leidenschaft. Und manchmal auch den gleichen Schmerz. Zehn Jahre ist es her, seit Bliggs kleine Schwester im Alter von 17 Jahren Suizid beging. Marcs jüngerer Bruder kam vor drei Jahren bei einem Unfall ums Leben. Das prägt. «Vielleicht haben wir mehr Verlustängste als andere», sagt Bligg. «Aber man muss lernen, dem Leben zu vertrauen, sonst ist man verloren», sagt Marc.

0.45 Uhr. Prost! Geschafft lehnen sich Marc und Bligg im Sofa zurück, die Spannung fällt ab. Die Bierflaschen klirren. Auf die gelungene Show. Und aufs zweite Baby. Das Album «Finale» erscheint am 2. September. Geplant war es nicht. Aber man hatte grad noch Zeit übrig, um Songs zu schreiben. Und um die gemeinsame Zeit noch ein bisschen zu verlängern.

«Bin dänn mal wäg. S isch nöd zum glaube, was mir zämme erläbt händ. Das chan eus niemert meh nä, für kä Geld.»

So werden Blay sich am 10. Dezember im Zürcher Hallenstadion verabschieden. Das Ende einer Romanze, die zu einer grossen Liebe wurde. «Die Endlichkeit verleiht allem seinen Wert», sagt Marc Sway – schliesslich darf man nach Mitternacht auch mal philosophisch werden. Blay werden bald Geschichte sein. Die Freundschaft von Bligg und Marc Sway bleibt.