Ein Märchen. Geschaffen vom Patriarchat und von Magazinen. Das sei Cellulite gemäss der Autorin eines Artikels auf Refinery29. Cellulite sei nicht echt. Diesem einführenden Satz wird mit den Worten «Schluss. Aus. Ende.» jegliche Diskussionsgrundlage abgesprochen. Und dennoch führt die Autorin während 12'000 Zeichen weiter aus. Die Diskussion ist nämlich überhaupt noch nicht abgeschlossen. Und sie umfasst Themen wie Body Positivity und irreführende Produktversprechen.
Helfen tut gegen diese Orangenhaut, auch genannt Matratzenhaut (Anmerkung der Redaktion: Klasse!) nämlich wenig. Vor allem keine Creme. Kein Gel. Um das zu verstehen, müsse man zuerst einmal verstehen, was Cellulite überhaupt ist, sagt Dr. med. Piotr Jan Michel, ärztlicher Leiter der Dermatologie Klinik Zürich. Die Ursache ist nur schwer zu beheben.
Was ist Cellulite?
«Ein Problem der Haut, das aber nicht krankhaft ist», sagt der Experte. Man müsse sich den Aufbau der Haut wie ein Haus vorstellen. Mit Etagen (Subcutis, Dermis und Epidermis). Das mit der Cellulite spielt sich im UG, der Subcutis ab. Dort befinden sich die mit Fettgewebe gefüllten «Zimmer». Die werden abgetrennt vom Bindegewebe (den Wänden).
Wachsen die Fettzellen und ist das Bindegewebe zu schwach, um sie im Zaum zu halten, dehnen sie sich aus – wölben sich nach aussen. Das passiert bei Männern seltener, da bei ihnen die Membranwände x-förmig angeordnet sind (nicht einfach vertikal) und ihr Gewebe somit grundsätzlich stabiler aufgebaut ist.
Seit wann ist Haut abnormal?
Schwaches Bindegewebe gibt es schon immer und zwar bei durchschnittlich 8 von 10 Frauen. Dass wir ihm den Krieg erklärt haben, ist neu. Denn früher war Orangenhaut eigentlich kein Problem. Das typische Hautbild einer postpubertären Frau und ein rundlicher Körper galten in der Malerei des Barocks als Schönheitsideal. Dellen? Kein Ding, sondern eben die anatomische Normalvariante des Unterhautfettgewebes bei Frauen an Beinen und Armen.
1873 tauchte der Begriff dann erstmals im «Dictionnaire de Médecine» auf. Ärzt*innen fehldiagnostizierten die Cellulite als Entzündung oder als Ablagerung von Abfallprodukten. Die Cellulite als optischer Makel wird erstmals in französischen Frauenmagazinen aus den Zwanzigern erwähnt.
Das ging nicht zufällig mit dem Eintritt der Frauen in die Erwerbstätigkeit einher, schreibt die Professorin Rosella Ghigi in ihren Artikeln zu «The Female Body and between Science and Guilt» (2004). Die Cellulite habe damals dazu gedient zu beweisen, dass der Körper der Frau mit Vergiftungserscheinungen auf das urbane Leben reagiere und einfach nicht dafür gemacht sei (Anmerkung der Redaktion: Nach dieser Aussage ist «Matratzenhaut» ja schon beinahe süss).
Eine Zeit lang blieb Orangenhaut das «Problem» der Französinnen. 1968 verbreitete die US-Vogue die Botschaft weiter. Und zwar werbewirksam.
Sind alle Behandlungen gegen Cellulite nicht wirksam, aber irreführend?
Eine ganze Industrie hat sich um sie gebildet: Seien es Cremes, Schwämme, Bürsten oder Massagen – die Therapiemassnahmen sind divers und ständig kommen neue Science-Fiction-mässige dazu. Krypolipolyse zum Beispiel. Dabei werden die Fettpölsterchen einfach eingefroren. Das klingt so schön. So effektiv! All diese Methoden seien aber in Bezug auf Cellulite teilweise Schwachsinn oder führten maximal nur kurzfristig zu Effekten, sagt Dr. med. Michel.
Insbesondere Cremes, die eine Besserung versprechen, könne man nicht trauen. Selbst, wenn sie das mit Studien (die man allerdings in unserem Fall auch nach Anfragen bei den jeweiligen Unternehmen nicht zu Gesicht bekommt) belegen. Besonders, wenn die Firma selbst die Studien durchgeführt hat, müssen die Ergebnisse kritisch betrachtet werden. Diese sollten nämlich eigentlich unabhängig sein. Die Probanden darin vergleichbar. Die untersuchten Gruppen gross genug.
«Orangenhaut entsteht nicht, weil zu viel Fett vorhanden ist, sondern weil die Membrane zu schwach sind.»
Dr. med. Piotr Jan Michel
Das einzige, was gegen Cellulite helfe, sei Cellfina. Eine minimalinvasive Methode entwickelt vom deutschen Merz Pharma. Dabei wird die Bindegewebefaser durchtrennt und die Oberhaut somit nicht mehr nach unten gezogen. Merz hat gemäss NZZ am Sonntag im Jahr 2016 damit einen Umsatz von 1'093 Millionen Euro erwirtschaftet. Aktuelle Zahlen gibt das Unternehmen nicht bekannt.
Gemäss Dr. med. Michel steige die Nachfrage nach Behandlungen von Cellulite generell. Unsere gegenwärtige Gesellschaft hat also ein echtes Problem mit Unterhautfettgewebe. Man könnte Cellulite jetzt einfach als eine Ausprägung des Schönheitswahns sehen. Als eine Erfindung. Und forever straffe, makellose Haut als eine dieser fixen, aber unrealistischen Ideen, wie sie uns auch heute immer wieder kommen.
Noch vor wenigen Jahren wusste zum Beispiel niemand, dass ein Thigh Gap (wir erinnern uns: die Lücke zwischen der Innenseiten der Oberschenkel) wichtig wäre zu haben. Niemand ahnte, dass eine Ab Crack (vertikale Bauchfalte, gesehen bei Emily Ratajkowski) erstrebenswert ist. Und es hat uns trotzdem an nichts gefehlt.