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Victoria's Secret Show abgesagt

Die Engel sind endgültig abgestürzt

Millionen von Menschen geiferten jedes Jahr der Show von Dessous-Gigant Victoria’s Secret entgegen. Und deshalb ist 2019 für viele ein trauriges Jahr – es ist vorbei. Die Show ist begraben. Und alle haben es kommen sehen.

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NEW YORK, NY - NOVEMBER 08:  Gigi Hadid performs during the 2018 Victoria's Secret Fashion Show at Pier 94 on November 8, 2018 in New York City.  (Photo by Taylor Hill/FilmMagic)
FilmMagic

Schauspieler Michael Landon vollbrachte zwischen 1984 und 1989 in der Serie «Engel auf Erden» allerhand Gutes: Gott hatte ihn zurück geschickt, um «den Menschen Liebe, Verständnis, Rücksichtnahme und Achtung» beizubringen, wie es auf Wikipedia heisst. Hätten sich seine leichtbekleideten Nachfolgerinnen doch nur eine Scheibe davon abgeschnitten. Sie sässen jetzt nicht mit gestutzten Flügeln da.  

Die alljährliche Dessous-Show von Victoria’s Secret ist 2019 hochoffiziell abgesagt. Die Engel haben ausgeflattert, die Büstenhalter ausgefunkelt. 2018 schon erreichte der millionenteure Quoten-Event nurmehr 3.3 Millionen Menschen. Das ist wenig. Bis zu einer Milliarde Dessous-Fans schalteten in triumphalen Jahren zu. Was es zu sehen gab? Wahnsinnig durchtrainierte, schmale Frauen in Unterwäsche, die Spass auf der Bühne zu haben schienen. 

Männerfantasie? Abgestürzt 

Unfair ists eigentlich, den Engeln den Absturz in die Stöckel zu schieben. Die können vermutlich am allerwenigsten dafür, dass sich der einst wahnsinnig erfolgreiche Unterwäsche-Brand ins Aus katapultiert hat. Verbockt haben es die Jungs an der Spitze. Und nein, das hier ist jetzt keine feministische Abrechnung mit patriarchalen Machtstrukturen in Milliardenunternehmen. Es ist ein simpler Fakt, der doch symptomatisch für unsere Zeit ist. So prägte Marketingchef Ed Razek jahrzehntelang das Image des US-Wäschelabels. Er ist der Schöpfer der traditionellen Busenparade, die Models wie Adriana Lima oder Alessandra Ambrosio weltberühmt und steinreich machte. Ein Mann mittleren Alters, der seine Kernzielgruppe, nämlich junge Frauen, aus den Augen verloren hat.

Vor einigen Monaten ist er zurückgetreten. Das nach einem Interview mit der Vogue, in dem er tönte:

«Sollten wir Transsexuelle in der Schau laufen lassen? Nein. Nein, ich denke nicht, dass wir das sollten. Warum nicht? Weil die Schau ein Traum ist, eine Fantasie, ein 42-minütiges Entertainment-Spektakel.»

Das brachte das Fass zum Überlaufen. Die Aktie des Mutterkonzerns L-Brands befand sich eh schon im Dauersinkflug, die Verkaufszahlen im Keller (viele Shops machten zu) und dass Razek mit Jeffrey Eppstein (das ist der Fall, der aktuell gerade auch Prinz Andrew zu Fall bringt) befreundet war, hilft der Sache auch nicht. Doch das eigentliche Problem geht viel tiefer. Und hat eben doch etwas mit patriarchalen Strukturen und Feminismus zu tun.  

Das Frauenbild ist überholt 

Die Show mit durchtrainierten und dennoch wundersam dünnen Frauen, die engelsgleich fragil und voller Power ihre leicht verpackten Brüste ‘gen Himmel strecken, wirken nicht erst seit 2019 wie ein schlechter Film. Das ist auf die Bühne gebrachte Männerphantasie, ein ausschliesslich männlicher Blick auf den weiblichen Körper. Ein Traum, eine Fantasie eben. Ein Konzept, das vielleicht beim VS-Showauftakt 1995 noch funktionierte. Der grösste Fehler von Victoria’s Secret? Sich an diesem veralteten und stark vereinfachenden Frauenbild festzuklammern als gäbe es kein Morgen. 

Während sich Savage × Fenty von Rihanna oder andere Dessous-Brands mit Diversität und modernen Frauenrollen auseinander setzen, verharrt Victoria’s Secret derweil in nostalgischer Schockstarre und schickt weiterhin diese Illusion perfekter Frauenkörper über die Bühne. Natürlich waren die Models echt. Doch selbst Adriana Lima, ein besonders berühmter Ex-Aushänge-Engel, gab zu, dass sie nur mit ganz extremen Diät-Eskapaden showbereit wird. Hartes Training und asketische Ernährung sind die Kehrseite der Millionen, die sich die Damen im Unterwäsche-Himmel zusammen verdienten. Im Zeitalter von Body Positivity und dem «anything goes»-Approach zum weiblichen Körper ein ziemlich unpopulärer (und ohnegleichen ungesunder Ansatz).  

Einmal weiterbilden, bitte

Und jetzt ist eben Schluss mit der BH-Parade vor einem Millionenpublikum. Victoria’s Secret ist selbst schuld. Dass der Konzern nach Razeks Weggang mit Valentina Sampaio das erste Transgender-Model engagiert hat, wirkt da (leider) nur noch wie verzweifelte Schadensbegrenzung. Auch das erste Plus-Size-Model kam viel zu spät. Selbst als Mainstream-Marke hätten die Verantwortlichen am Hauptsitz in New York mal zwischendurch eine Zeitung aufschlagen können und dann vielleicht gemerkt: Hey, diese Frauen heutzutage, die kaufen sich ihre Schlüpfer ja selbst?!? Vielleicht müssten wir uns mal überlegen, was denn diese Frauen heutzutage so machen und wollen? Allenfalls hätten auch ein paar Folgen «Ein Engel auf Erden» geholfen. Etwas Achtung und Respekt hilft angeblich auch manchmal weiter.

Oder – noch verrückter – sie hätten gar nach «female empowerment» googeln können, einem Schlagwort, das aktuell wie der heilige Gral der Glückseligkeit herum gereicht wird. Sie hätten dann vielleicht gemerkt: Oha, diese winzigen Höschen, Push-up-BHs und die im Vergleich zum durchschnittlichen Frauen-Alltag unrealistisch schmalen Model-Athletinnen sind vielleicht nicht mehr gaaaanz so en vogue. 

Dann hätte Victoria’s Secret vielleicht noch eine Chance gehabt. Jetzt ist der Zug vermutlich abgefahren. Und wie das ja im Leben manchmal so ist – die ältere Generation muss einer jüngeren weichen. 

Von Bettina Bendiner am 22. November 2019 - 15:45 Uhr