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Multiple Sklerose

«Vielen verschlägt es zuerst die Sprache»

Unheilbar krank: Die Diagnose kam für Kuno Lauener aus heiterem Himmel. Der Züri-West-Sänger weiss nicht, ob er je wieder auftreten kann. Prof. Jürg Kesselring erklärt, was MS bedeutet und welche Therapien helfen.

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Kuno Lauener, Frontmann der Berner Band ZueriWest, aufgenommen am 16.03.2017 in Bern. Bild © Remo Naegeli

Kuno Lauener erhielt mit 57 Jahren die Diagnose MS – eher ungewöhnlich. Am häufigsten sind junge Frauen betroffen.

Remo Nägeli

Im Frühling 2017 steht Kuno Lauener auf der Gurtenbühne – 25'000 Menschen jubeln ihm und seiner Band Züri West zu, er sieht alles doppelt. Da fehlen ihm plötzlich die Worte, alles weg. Sätze und Melodien, die er schon tausendmal gesungen hat. «Mir wurde klar, dass ich solche Konzerte nicht mehr würde spielen können», erzählt der Sänger jetzt der NZZ am Sonntag. Der Grund: Ein paar Stunden vor dem Gurten erhielt er die Diagnose Multiple Sklerose

«Vielen meiner Patienten verschlug es bei dieser Botschaft buchstäblich die Sprache. Sie schaffen es nicht einmal mehr, eine Frage zu stellen», sagt Prof. Dr. med. Jürg Kesselring, Senior Botschafter & Neuroexperte im Rehazentrum Kliniken Valens in St. Gallen. Der MS-Spezialist beschäftigt sich seit 40 Jahren mit der neurologischen Störung und weiss, wie einschneidend die Diagnose für Betroffene sein kann. «Es ist ganz entscheidend, wie Ärzte in solchen Momenten reagieren. Wir müssen zuhören, begleiten und nach gemeinsam Möglichkeiten suchen.» Sehstörungen, wie bei Kuno Lauener, seien ein häufiges Symptom bei MS. «Das ist ein Hinweis darauf, dass in einer bestimmten Hirnregion eine Funktionsstörung vorliegt. Diese kommen besonders häufig im Bereich des Sehnervs vor», erklärt Prof. Kesselring.

Bei der Multiplen Sklerose handelt es sich um eine Entzündungskrankheit im Gehirn und im Rückenmark, also im zentralen Nervensystem. Aufgrund dieser Entzündungen kann es im Gehirn zu Ödemen, einer Schwellung des Gewebes, oder später zu Vernarbungen kommen. Diese sind dann für die körperlichen Aussetzer verantwortlich und erklären, warum Kuno Lauener plötzlich seine Liedtexte vergessen hat.

Die erste gute Nachricht: Diese Schäden sind nicht irreversibel. Das heisst, Patienten und Patientinnen, die bei einem Schub zum Beispiel unter starkem Schwindel leiden, erholen sich wieder davon. Liedtexte kehren ins Gedächtnis zurück, die Augen sehen wieder klar statt doppelt.

«Einerseits wirken die Selbstheilungskräfte des Körpers», sagt Prof. Jürg Kesselring, «andererseits können wir diesen Prozess mit cortisonähnlichen Medikamenten unterstützen.» Ein MS-Schub dauert in der Regel vier bis sechs Wochen – die richtigen Medikamente verkürzen diese Zeit. In der Kombination mit immunmodulierten Therapien, welche die Schübe unter Kontrolle halten, bilden sie heutzutage die Standardtherapie. 

Aber auch die Psyche spielt eine Rolle bei einer MS-Erkrankung. Nicht nur, was das Wohlbefinden anbelangt. Es gäbe viele Patienten und Patientinnen, die von einem MS- Schub nach einem traumatischen Erlebnis berichten, sagt Prof. Kesselring. Kurz vor der MS-Diagnose starb Kuno Laueners Mutter – ein Auslöser für die Krankheit? «Man kann annehmen, dass ein Zusammenhang besteht. Eine alleinige Ursache sind psychische Belastungen aber sicher nicht. Diese ist nach wie vor unbekannt. Vermutet wird ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren wie die genetische Veranlagung und Umwelteinflüsse.»

Die zweite gute Nachricht: Man kann auch mit MS ein gutes Leben führen. «Ich bewundere, wie gut viele meiner Patienten und Patientinnen mit der steten Ungewissheit umgehen», sagt Prof. Jürg Kesselring. 

Von lm am 14. März 2021 - 16:09 Uhr