1. Home
  2. Body & Health
  3. Mind
  4. Polyamorie: So geht die Liebe zu vielen Personen

Du, ich und die anderen

Wie ist es eigentlich, polyamor zu leben?

«Liebe wird mehr, wenn man sie teilt» – das vermeintliche Klischee gilt bei Julian* ein bisschen mehr als bei anderen. Seine romantischen Gefühle gelten nämlich nicht exklusiv einer Person. Er lebt (und liebt) polyamor. Wir haben mal nachgefragt, wie das ist.

Artikel teilen

Illustration Bisexuell.

Nur eine Person lieben? Das muss für polyamore Menschen nicht sein. 

Shutterstock

Karten auf den Tisch: Egal wie sehr ihr euren Partner liebt, es gibt garantiert etwas, dass ihr ein kleines bisschen an ihm vermisst. Vielleicht ist es die romantische Ader, die Lust dazu, einfach mal einen Tag im Bett zu verbringen oder einfach kleine Zärtlichkeiten im Alltag. Eure beste Freundin hingegen führt die scheinbar perfekte Beziehung mit genau diesen Punkten im Überfluss (Spoiler: Das sieht nur nach aussen so aus)  – sorry, aber könnt ihr euch ihren Boy vielleicht mal ein Wochenende lang ausleihen?

Wir stellen mal die wage Vermutung an, dass die Konversation darüber bei euch im Spass gemeint wäre. Oder zumindest, dass eure Freundin oder der eigene Partner das Szenario nur so semi-prickelnd finden würden. Für Julian* ist das Realität. Der 25-jährige Zürcher und seine Freundin leben und lieben polyamor – und damit den Traum? Die Philosophie hinter der Lebenseinstellung ist nämlich, nicht nur den Sex, sondern auch Zuneigung und Liebe in einer Partnerschaft nicht an Exklusivität zu binden. Mehrere Partner gleichzeitig sind möglich. Wir haben im Interview mal nachgefragt, was genau dahinter steckt. 

Style: Du lebst polyamor. Mal ganz dumm gefragt: Wieso?
Julian: Ich finde einfach, dass Liebe nicht weniger wird, wenn man sie teilt. Meine Affektion zu meiner Freundin wird nicht geringer, nur weil ich noch eine intime Verbindung zu anderen Menschen habe. Aber: Ich musste auch erst lernen, dass Polyamorie ein existierendes Beziehungsmodell ist. Das war mir lange gar nicht klar. Als ich das gemerkt habe, war das, als ob ich die Diagnose für etwas finde, dass ich schon Jahre lang so empfunden habe.

Klingt einfach nach viel Sex. Wo ist da der Unterschied zu einer offenen Beziehung?
Es ist gerade diese Verbindung zu anderen. Es geht mir nicht per se darum, mich sexuell auszuleben. Ich möchte den Menschen kennenlernen und eine gute Zeit mit ihm haben. Also schon auch Sex. Aber das daraus mehr werden kann, schliesse ich nicht kategorisch aus. Gerade jetzt entwickelt es sich bei mir in eine Richtung, in der es ein bisschen so aussieht.

Du hast dann also zwei oder sogar mehr Beziehungen? Ist das nicht krass stressig?
Das kommt bei mir total darauf an. Im letzten halben Jahr war mein Leben an sich schon sehr stressig und emotional. Wenn ich mich selbst nicht 100 Prozent wohl fühle, bin ich nicht in der Stimmung, mich anderen Menschen gegenüber zu öffnen. Geht es mir gut und habe ich Freude am Leben, teile ich das aber total gern mit anderen. Das stresst mich dann nicht. Ich würde sagen, ich verknall mich grundsätzlich schnell und kann mich offen darauf einlassen, jemanden kennenzulernen. Dazu muss man aber natürlich schon der Typ sein. Und natürlich ist es zeittechnisch einfach eine Ressourcenfrage. Willst du dir die Zeit dazu nehmen, oder nicht?

Es ist aber schon so, dass du eine Person als deine Hauptpartnerin betrachtest?
Bei mir ist es so, ja. Ich hatte die letzten vier Jahre die gleiche Partnerin. Es gibt aber auch «Hardliner», die sagen, alle Beziehungen sind gleichwertig. Solange es für die Involvierten stimmt, ist alles erlaubt. 

Habt ihr denn mal monogam gelebt?
Am Anfang war es so. Die polyamore Beziehung hat sich erst im Laufe der Jahre entwickelt. 

Wie fragt man danach, die Beziehung so weit zu öffnen?
Ich habe es einfach mal angesprochen. Auch wenn man damit natürlich riskiert, den Partner zu verletzen – genau das ist dann auch passiert. Aber ich hätte das nie vorgeschlagen, wenn ich nicht daran interessiert gewesen wäre, die Beziehung in die Zukunft zu führen. Aus Respekt vor meiner Freundin habe ich den Wunsch dann erstmal wieder hinten angestellt. Etwa ein dreiviertel Jahr später ist sie dann von sich aus auf mich zugekommen und hat gesagt, dass wir es versuchen sollten. 

Redet ihr darüber, wenn ihr andere Leute trefft?
Ja, das muss sein. Und zwar sowohl vorher, wie auch im Nachhinein. Wir haben klare Regeln. Wenn etwas war, erzählen wir es. Und wenn du das für dich möchtest, kannst du auch genauer nachfragen. Das machen wir in den meisten Fällen tatsächlich auch.

Und dass sie auch andere Leute dated, ist für dich kein Problem?
Nein, gar nicht. Viele stellen sich das schlimm vor, aber eigentlich ist es das überhaupt nicht. Der Schlüssel ist da einfach die offene Kommunikation. Mit verschiedenen Menschen hat man ja auch jeweils eine ganz andere zwischenmenschliche Dynamik, andere Gespräche und natürlich auch anderen Sex. Das kann die eigene Beziehung auch total weiterbringen. Man kommt auf Themen und Interessen, über die man sonst vielleicht nie nachgedacht hätte. Und: Es ist für mich auch toll zu wissen, dass mein Partner von jemand anderem für das, was er ist, geschätzt oder sogar geliebt wird. Das ist doch etwas extrem Schönes. Meine Freundin fühlt sich gut dabei und kann es geniessen. Da gibt es keinen Grund für mich, mich schlecht zu fühlen. 

Wünscht du dir in der Zukunft mal eine Familie?
Ja.

Nur eine?
Phew, dazu habe ich mir noch gar nicht so viele Gedanken gemacht. Das hängt davon ab, in was für einer Konstellation ich zu dem Zeitpunkt lebe. Ich glaube, es kann für Kinder total super sein, wenn beide Eltern noch andere Partner haben, die sich aktiv am Familienleben beteiligen. Im besten Fall haben sie vier oder mehr Bezugspersonen, statt nur zwei. Es gibt mehr Zeit fürs Kind und weniger gestresste Eltern. Aber inwiefern das für mich gelten wird, weiss ich noch nicht. Vielleicht wird es auch eine «klassische» Familie. Oder gar keine. Mit 25 ist es schwer, das zu beurteilen. 

* Name von der Redaktion geändert

Von Malin Mueller am 14. Februar 2020 - 17:09 Uhr