Manchmal ist das Leben wie eine Schifffahrt. Erst dümpelt man gemütlich durchs Gewässer, bis plötzlich ein Sturm aufzieht, der alles aus dem Gleichgewicht bringt. In diesem Fall handelt es sich um einen ganz bestimmten, erfüllt mit sehr viel Hass: den Shitstorm. Ursprünglich in die Schublade der belanglosen Internetphänomene gesteckt, erhält er wegen des kleinen Wörtchens «cancelled» jetzt eine neue, sehr viel schwerwiegendere Bedeutung.
Wer auf seinem Schiff von einem Shitstorm überrascht wird, hat sich meist irgendwo in einer Content- oder Kommentar-Kajüte aufgehalten, bevor sich die dunklen Wolken breit machten. Dann kann das Wetter ziemlich schnell umschlagen. Blauer Himmel und Sonnenschein werden von tiefschwarzem Hass verdrängt, es regnet Negativität, Feindseligkeit peitscht gegen die Reling. Und wenn dann irgendwo am Horizont das Wort «cancelled» auftaucht, ist der Untergang besiegelt. Unser Schiff versinkt ächzend im Hass. Cancelled. Wie kann so ein kleines Wort ein ganzes Leben ruinieren?
Mimi Jäger war cancelled
Das englische Wort «cancelled» bedeutet zu Deutsch abgesagt, gestrichen, storniert. Und genau das passiert mit Leuten, die der Internet-Community nicht gefallen. Eine Verbannung aus dem Netz. Man hat plötzlich nichts mehr zu sagen, ist irrelevant, wird boykottiert. Der Grund dafür kann x-beliebig sein. Nehmen wir die ehemalige Freestyle-Skifahrerin Mimi Jäger als Beispiel:
Die 37-Jährige äusserte sich auf Instagram kürzlich kritisch zu Antirassismus-Demonstrationen, die in der Schweiz im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung stattfanden. Rasend schnell hatte sie den Stempel «Rassistin» sitzen, befand sich mitten in einem tosenden Shitstorm. Der ging so weit, dass sich sogar Marketing-Partner wie etwa die Schweizer Post von Jäger abwandten. Sie war … gecancelled.
Was heisst es genau cancelled zu sein?
Der schäumende Hass im Netz hat auch im realen Leben extreme Folgen für die Person, die dabei untergeht. Wegen ihres Insta-Posts geriet Jägers gesamte Karriere ins Schwanken. Als Influencerin lebt sie von Werbe-Deals, die ihr nun wegbrechen. So kann der Boykott im Internet schnell zu einer existenziellen Krise führen.
Die grosse Masse entscheidet
So mächtig ist sie inzwischen, die Cancel Culture. Der Allgemeinheit passt etwas nicht, also muss es weg. Ironischerweise herrscht diese Gewalt in den sozialen Medien, in denen 24/7 Akzeptanz und Toleranz gepredigt werden. Der Kampf für Gleichberechtigung, mehr Selbstliebe und gegen Rassismus – alles Dinge, die Instagram-, Twitter- und TikTok-User lieben und leben. Dennoch sind sachliche Diskussionen und offene Debatten in den sozialen Medien eine Seltenheit. Denn die Meinung, die nicht der Mehrheit entspricht, wird in hohem Bogen über Bord geworfen.
Das Problem dabei ist, dass durch die Cancel Culture nicht Diskriminierung, Gewalt oder Hass ausgeschaltet werden, sondern einzelne, reale Personen. Die scheinbar so tolerante Internet-Gemeinschaft verwandelt sich innert Sekunden zum intoleranten Mob. Schwierig, denn natürlich befinden wir uns mit unseren Schiffen nicht alle auf der selben Route, aber immerhin auf dem selben Meer. Bleibt also die Frage: Wie viel Toleranz akzeptiert eine tolerante Gesellschaft?
Habt ihr Erfahrungen mit Shitstorms oder wart sogar auch schon von der Cancel Culture betroffen? Lasst es uns in den Kommentaren wissen.