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Körperlicher Niedergang ab 25

10 Jahre überm Verfallsdatum und es könnte ok sein

Die Autorin ist 35 Jahre alt. Sie hat weder Kinder noch Lebensabschnittspartner, dafür aber (vom Licht abhängige) sichtbare Bauchmuskeln und eine (vom Tag abhängige) unbändige Lust, was zu erleben. Eigentlich alles halb so wild – wenn einem nicht immer eingeredet werden würde, man sei alt und das Leben eigentlich schon vorbei. Weil gut war angeblich alles nur bis Mitte Zwanzig.

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Ihr denkt, ihr seid mit Mitte Dreissig noch jung? Bekennt euch schuldig, ihr wisst es selbst, die Medizin sagt was anderes.

Getty Images/Image Source

Mit 23 Jahren ist man für Männer als Frau am attraktivsten. Sagt Christian Rudder, Mitbegründer der Dating-Plattform OK CupidWenn ich das damals gewusst hätte mit Anfang Zwanzig, dann hätte ich mir vielleicht mehr Mühe gegeben. Leider war ich mir meiner Strahlkraft nicht bewusst. Dabei klettert laut Nachrichtenseite Business Insider zur selben Zeit die Lebenszufriedenheit auf ihren spiegelglatten Gipfel. Das kann ich nicht bestätigen. Heute mag meine Haut zwar nicht mehr ganz so fest am Knochen sitzen, aber ich stehe jetzt im Leben und fühle mich gut. Ich würde fast sagen: besser. Ich kenne meinen Körper inzwischen etwas länger. Weiss, was er kann, was er mag. Und was nicht. Weiss, dass da nie eine Wespentaille drinliegen wird und sich die Länge der Beine nie proportional an den Oberkörper anpassen wird. Weiss, dass man mir ansieht, dass ich gerne ausschweife. Die Stirn ist vom vielen Dinge-nicht-Verstehen zerknüllt. Aber: Nie war ich zufriedener mit mir. Falsch: wäre ich zufriedener mit mir. Wenn mir Medizin und Wissenschaft nicht ständig Fakten vor den Latz knallen würden, die besagen, dass es mit mir schon lange steil bergab geht.

Im Zeitstrahl kotzen

Besagter Business Insider hat eine Timeline gemalt, die die Peaks im Leben markiert: Mit 18 Jahren arbeitet das Gehirn am besten. Dann baut es langsam, aber sicher ab. Mit 22 kann man sich Namen am besten merken, mit 32 Gesichter. Was dann kommt, ist Leere. Ab 40 minimieren sich die Chancen auf eine Nobelpreis-verdächtige Entdeckung, mit 51 erst versteht man die Emotionen anderer so richtig. Dann aber immer schlechter. Und mit 74 – endlich – ist man mit seinem Körper am zufriedensten. Das hat gedauert, das war harte Arbeit, die in der Folge wieder flöten geht. Aber der körperliche Verfall beginnt schon viel früher. Ab einem Lebensalter von 15 Jahren nämlich lässt die Elastizität der Linse nach. Schleichend werden wir zum Maulwurf, um dann, mit Mitte 40, auf die Nähe kaum noch scharf stellen zu können – so sehr bröckelt alles. In 10 Jahren droht mir also schon die Lesebrille.

Exakt jetzt, mit 35, nimmt die Fruchtbarkeit ab, brüllen alle in ihr Reproduktions-Megafon. Nur etwa eine von sechs im Bett aktiven Frauen wird da pro Zyklus noch schwanger. Und auch dann: Ab 30 Jahren spricht man von einer Risikoschwangerschaft, von einem stärker erhöhten Risiko ab 40 Jahren. Alarm! Die fetten Jahre sind vorbei – fette Monate kommen unter Umständen gar nie, wenn man den richtigen Partner nicht gefunden hat. Einige greifen zur Samenspende, der Rest verharrt in panischer Starre. Wenn die biologische Uhr erst jetzt langsam zu ticken beginnt, war man wieder zu spät dran. Weil das Gewicht der Eierstöcke stetig sinkt. Und mit ihnen jegliche Elastizität der Haut – an den Wangen, dem Po und den Brüsten.

Irgendwann schnarcht man nur noch

Alle reden ständig von Positivem Denken und «Good Vibes Only». Aber geht es ums Älterwerden, sind alle über-dramatische Spielverderber. Wenn ich beim Dermatologen erfahren will, was ich gegen unreine Haut tun kann, dann möchte ich nicht mitleidig darauf hingewiesen werden, dass ab 25 die Kollagenmasse und Flexibilität meines Gesichts etwa um 1 % jährlich abbaut. Wenn ich diesbezüglich um Rat frage, gerne. Sonst: Danke für nichts. Vor zwei Jahren habe ich angefangen, mir mit Pilates zweimal wöchentlich eine schweisstreibende Routine in den Kalender zu basteln. Und mein Körper hat nun Muskeln. Ja, mit fast 36 Jahren habe ich mir noch einen dezenten Sixpack rangezimmert. Ehrlich gesagt sehe ich da Potenzial. Luft nach oben. Da geht was. Ich fühle mich stabil, fit und fidel. Gar auf dem Höhepunkt meiner gesundheitlichen Blüte. Dass ich da schon 10 Jahre drüber sein soll, akzeptiere ich schlichtweg nicht.

Man ist so alt wie man sich fühlt, heisst es ja. Aber irgendwie darf man nicht. Die Beauty-Industrie möchte die feinsten Falten füllen, der Gynäkologe will traurige Rest-Eier einfrieren und die Tatsache, dass Ü30-Parties existieren, sagt mir, dass ich eigentlich zu alt bin, um noch hemmungslos zu feiern. Wer genau da nicht reinkommt, ist jung. Sagt wer? Ist Jugend nicht ein völlig überholtes, viel zu starr definiertes Konzept? Das manche künstlich hinauszögern und andere schlicht mühelos ewig leben? Warum darf nicht jeder auf seiner eigenen, zufriedenen Welle reiten? Es kommt alles zu seiner Zeit. Der Kinderwunsch, der Zeitpunkt, an dem man keinen Minirock mehr tragen will, das Fett am Bauch, das Schnarchen. Auch Schleimhaut und Bindegewebe der Nase werden nämlich ab dem 25. Lebensjahr dünner. Irgendwann schnarchen wir also (fast) alle. Komme, was wolle. Übrigens: Sex als der heilige Gral des körperlichen Verfalls geht immer. Laut Lehrbuch gibt es keinen biologischen Endpunkt für sexuelles Interesse. Kein Endpunkt. Keine starre Timeline. Keine Regeln. Amen.

Seid ihr so alt wie ihr euch fühlt? Lasst uns darüber reden.

Von lei am 9. September 2020 - 16:00 Uhr