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Ist der Beckenboden der neue Bauchmuskel?

Wir trainieren alles, auch den Unterleib

Der Beckenboden ist überall. Klar, im Grunde nur untenrum, aber er ist in aller Munde – als etwas, das man fit zu machen hat. Unter anderem mit Geräten. Wir haben mit einer Expertin darüber gesprochen und schon mal mit dem Workout begonnen – und dabei testweise mit dem Beckenboden Flipper gespielt.

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Dieses Bild sieht nicht nach Fitness aus? Doch doch, vertraut uns. Gleich gehts los.

Getty Images/EyeEm

Wann kann man schon behaupten, dass ein fünfminütiges Workout reicht? Davon werden die Abs nicht steinhart, der Po nicht rund, die Oberschenkel nicht fest. Der Beckenboden ist diesbezüglich relativ genügsam und deshalb vielleicht eine leichtzunehmende Hürde im Zuge der exzessiven Selbstoptimierung. Nach Ab Crack und definierten Armen ist nun der kleine Muskelapparat dran, der wie eine Hängematte zwischen Steissbein und Schambein festgemacht ist. Aussen ist alles knackig, aber drin? 

Clevere Beckenbodentrainer, die wenig Aufwand versprechen, schiessen derzeit aus dem Boden wie undefinierbare Pilzsorten. Wenn es viel von etwas gibt, wird einem suggeriert, man würde es brauchen. Dringend. Ist die Sache mit dem Beckenboden also ein Modephänomen? Oder braucht der unsichtbare Muskel wirklich smarte Tools, die uns wie eine Pulsuhr zu Höchstleistungen treiben?

Die Autorin hat sich das Trainings-Modell Elvie mal zu Gemüte – Pardon – eher ... eingeführt und zusätzlich bei Dr. med. Beate Schnarwyler, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe in Zürich, nachgefragt, was, wo und wie der Beckenboden eigentlich ist. Und wer und warum man den braucht.

Ein kleiner Exkurs zum Thema Beckenoden mit Dr. med. Schnarwyler

Style: Was genau macht der Beckenboden?
Dr. med. Beate Schnarwyler: Im Prinzip bewahrt der Beckenboden die Organe davor, aus dem Bauch zu fallen. Er bildet als trichterförmiger Muskel den Abschluss nach unten. Hätten wir den Beckenboden nicht und würden pressen, kämen drastisch gesagt Darm, Blase und Vagina aus dem kleinen Becken nach unten. Bei der Vorsorgeuntersuchung kontrolliere ich den Beckenboden bei Frauen ab 40 regelmässig.

Wann sollte man anfangen, den Beckenboden zu trainieren?
Training macht eigentlich nur Sinn, wenn der Beckenboden aus irgendeinem Grund sehr stark strapaziert wurde. Er ist wie jeder andere Muskel auch – im Grunde hält er gut. Er wird nur bei Belastung beansprucht, weshalb man auch nur nach Extremen wie einer Geburt mit ihm arbeiten muss. Ansonsten rate ich Beckenbodentraining adipösen Patientinnen und älteren Frauen, da der Muskel natürlich mit der Zeit – wie alles andere auch – schwächer wird.
Als gesunde, junge Frau aber besteht eigentlich kein Grund zu exzessivem Training. Ausser man möchte vom erotischen Gewinn profitieren: Manche mögen es, wenn die Frau beim Sex den Beckenbodenmuskel anspannt.

Wie trainiert man den Beckenboden richtig? 
Sechs bis acht Wochen nach der Geburt empfehle ich, bei Insuffizienz in einen Rückbildungskurs zu gehen. Bei Inkontinenz empfiehlt sich ein spezielles Training durch eine Physiotherapeutin. Wer unter Belastungsinkontinenz beim Husten und Niesen leidet, kann versuchen, den Beckenboden vorher anzuspannen, um Urin-Abgang zu vermeiden. Generell sind auch Pilates und Yoga eine gute Option, um prophylaktisch etwas für seinen Beckenboden zu tun.

Ist Inkontinenz eine Frage des Alters?
Frauen, die geboren haben, haben definitiv häufiger darunter zu leiden.

Was halten Sie von den spielerischen Trainingsmethoden, die gerade überall umherschwirren?
Für diejenigen, die nach dem ersten oder zweiten Kind wenig Zeit haben und deren Beckenboden nicht ganz so schwach ist, sind Devices dieser Art auf jeden Fall empfehlenswert. Frauen haben heute eine höhere Sensibilität für ihren Beckenboden, für ihren Tonus, als noch vor zwanzig Jahren. Auch meine 70-, 80-Jährigen spannen an wie nix. Früher hat man nicht mal gewusst, was der Beckenboden ist. Jetzt beschäftigt man sich intensiver mit dem Thema – und das erfolgreich. Beckenboden-Toys antworten auf ein Phänomen, befriedigen aber auch die Nachfrage.

Gamen in der «Down There»-Edition

Alles klar. Ich bin unter 40, bin weder übergewichtig, noch habe ich geboren. Eigentlich bin ich nicht die Zielgruppe, wenn man die Sache mit dem Sex mal ausser Acht lässt. Bisher bedeutet Beckenbodentraining für mich «Kirschen aufsammeln» und «Lift fahren». Man sitzt im Schneidersitz und spannt den Beckenboden an, als würde man Pinkeln unterbrechen wollen. Man zieht den Beckenboden nach innen und oben.
Aber Workout mit Gerät? Der Elvie, so der Name des Dings, klingt nach hartem Training. Gut, hart ist da gar nichts. Man kommt höchstens ins Schwitzen, wenn das Handy keinen Akku mehr hat. Das nämlich muss mit der Elvie-App über Bluetooth verbunden werden. Der mandelförmige Teil eines türkisen Mini-Raumschiffes aus medizinischem Silikon kommt in die Vagina, der längliche Teil passt auf, dass das Ganze beim wilden Ritt nicht abgeworfen wird. Halt, stopp! Scherz. Tatsächlich liege ich ruhig auf dem Rücken und halte das Handy auf Höhe der Taille (wegen der Verbindung, versteht sich). Die Sache funktioniert auch im Stehen. Aber ich stehe so ungern. 

Erstmal muss ich mich für ein Level entscheiden. Ich kann zwischen Beginner, Intermediate und Advanced wählen. Ich nehme mal Beginner. Schliesslich hatte ich vor Kurzem starken Husten und fürchtete Inkontinenz.
Ich starte und spiele mich durch verschiedene Welten, während Elvies Kraft- und Bewegungssensoren die Bewegung der Beckenbodenmuskeln messen und über die App in Echtzeit visualisieren. Ich bin ein kleiner roter Feuerball, vielleicht auch ein Diamant oder eine schnöde Kugel. Als die muss ich auf dem Bildschirm herumspringen, Punkte treffen, Bälle jagen, zerschmettern. Je stärker ich anspanne, umso höher hüpfe ich und das verbessert auf Dauer meine Unterleibs-Fitness. Manchmal muss ich pulsieren, das wiederum macht mich und meinen Beckenboden beweglicher. Je höher ich es in die virtuelle Luft schaffe (es also schaffe, mein Inneres nach oben zu ziehen), umso mehr Festigkeit kann ich im Beckenboden aufbauen. Je länger ich die Spannung halten kann, desto ausdauernder oder kontrollierter sind wir. Korrekt: «wir». Mein Beckenoden und ich sind ein Team. Elvie fiebert mit und spendet Applaus: Die App verfolgt und speichert die Workouts im Zeitverlauf, motiviert einen also zu persönlichen Rekorden. Schön, wenigstens einer.

Ihr wollt auch mit geheimen Muskeln flippern? Bitteschön:
Von Linda Leitner am 23. Oktober 2019 - 15:21 Uhr