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  4. Corona-Time: Unsicherheit im Leben hat auch gute Seiten
Corona-Time

Hoch lebe das Leben in Unsicherheit

Alles zerfällt. Strukturen, Pläne, Karriere, Sozialleben – alles. Die Pandemie zieht uns in ein unbekanntes, tiefes Loch. Doch sind nicht gerade dort die wertvollsten Schätze versteckt? Eine Liebeserklärung an das unsichere Leben.

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Corona-Zeit = Unsicherheit. Aber schlecht muss das nicht unbedingt sein.

Getty Images

Sie ist das Stichwort der Stunde und trotzdem wird nur ungern über sie gesprochen. Sie versetzt uns seit März 2020 tagtäglich in Unruhe. Wegen ihr verlieren die einen ihren Job, andere ihre Beziehung und so manch einer die Selbstbeherrschung. Unsicherheit.

Schuld daran? Covid-19. Das Virus hat uns gezeigt, wie unglaublich schnell sich unsere vermeintlichen Sicherheiten in Luft auflösen können. Nichts ist mehr planbar, alles wird ständig wieder über den Haufen geworfen, storniert, gecancelled. Schliessungen und Kurzarbeit weiten sich aus. Die Gehälter werden kleiner, die Existenzängste grösser.

Planung dahin, Verdrängung ahoi

Jetzt gibt es natürlich diejenigen, die sich in solchen Situationen gerne von ihren Verdrängungskünsten treiben lassen. Was solls? Ist jetzt halt so. Wird schon gut gehen. Kann man nix machen. Wir sind ja alle im gleichen Boot. Doch genau das ist der springende Punkt: Nicht nur ein Dorf, ein Kanton oder ein Land ist betroffen – es ist die ganze Welt. Und wenn jedes Lebewesen auf dem Planet plötzlich unsicher wird, gerät selbst der beste Verdrängungskünstler langsam aber sicher in Unruhe

Der Drang nach Sicherheit macht Druck 

Das ist natürlich alles vollkommen menschlich. Kaum etwas hassen wir mehr als unvorhersehbare Gefahren. Deshalb versuchen wir 24/7, unser Leben in Sicherheit zu wahren: Geld lagern wir in bewachten Banken, gegen Krankheiten entwickeln wir Impfstoffe, gegen Angriffe schaffen wir Waffen. So geniessen wir die Illusion eines sicheren Lebens, bis die Banken in eine Finanzkrise stürzen, die Impfstoffe bedrohende Nebenwirkungen aufweisen und die Waffen plötzlich auf uns selbst gerichtet sind. Nichts im Leben ist wirklich sicher, nichts in Stein gemeisselt – und das macht Angst.

Corona hat ihn uns unter die Nase gerieben, den Kontrollverlust. Doch je schneller wir die Kontrolle verlieren, desto schneller wollen wir sie zurück. Auf jede erdenkliche Weise. Also suchen wir Erklärungen. Verschwörungstheorien kommen auf. Die beruhen zwar auf Lügen, liefern aber mögliche Antworten. Und Antworten schaffen Klarheit. Und Klarheit bringt – zumindest gedanklich – Kontrolle. Ist die, wie in diesem Fall, aber nicht auf ausreichend Hirnschmalz zu stützen, entgleitet sie uns auch schnell wieder. Ein Auf und Ab – da bleibt man doch lieber gleich unsicher. Und sowieso: Haben wir durch die Unsicherheit nicht auch einiges gelernt?

Aus der Unsicherheit in die Wirksamkeit

Fast jede*r hat in den letzten sechs Monaten ein Home-Workout gemacht, eine Zoom-Party veranstaltet oder ein Backmanöver gestartet. Klar, wir haben uns ja auch mehr als einmal zu Tode gelangweilt. Aber nicht nur die Langeweile ist an unserer Suche nach neuen Hobbys schuld. Die Unsicherheit, die unsere gewohnte Umgebung zu Nichte macht(e), veranlasst ebenso zum kreativen Perspektivenwechsel. So schwer es also manchmal sein mag, die geplante Zukunft zu hinterfragen, so gut kann es tun, etwas Neues auszuprobieren: Die alten Strukturen loslassen, Grenzen und Fähigkeiten testen, selbstsicherer werden – und dabei die kleinen Dinge wie eine Umarmung oder einen Zoom-Call mit der Familie schätzen lernen.

Toleranz, Akzeptanz und Transparenz

Nebst der Selbstwirksamkeit, steigt auch die Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen. Ein journalistisches Beispiel: Die Bildqualität am Fernsehen hat aufgrund von Zoom-Interviews massiv abgenommen. Hat das die Zuschauer*innen gestört? Nö. Die Hauptsache war, dass man gut und ehrlich informiert wurde. Apropos Ehrlichkeit: Transparenz gibt es jetzt auch immer mehr. Nicht nur von Politikern, sondern auch von Promis und Royals, die mittlerweile völlig unbekümmert und ungeschminkt im Schlabber-Look posieren.

Ausserdem sollten wir nicht vergessen, dass totale Gewissheit und Sicherheit das Leben ganz schön langweilig machen würden. Wüssten wir beispielsweise am Anfang einer Beziehung, dass sie in einigen Monaten schon wieder zerbricht, könnte man doch die rosarote Brille gar nicht geniessen. Hoffen, fürchten, entscheiden, trauern, freuen – all das macht das Leben erst lebenswert. Und deshalb sprechen wir jetzt über das Stichwort der Stunde und sagen ganz mutig: Hoch lebe das Leben in Unsicherheit.

Wie geht es euch in den aktuell unsicheren Zeiten? Erzählt es uns in den Kommentaren.

Von Lara Zehnder am 27. September 2020 - 11:09 Uhr