Die Menschen backen wie wild. Cookies und Zimtschnecken und grünes, bestimmt magisches Erbsenbrot. Wann zur Hölle machen die das, habe ich mich gefragt. Mich beschleicht das vage Gefühl, ich habe keine Zeit für sowas. Ja, ich bin auch ständig zu Hause, Corona-bedingt weggesperrt wie alle anderen, aber: Ich bin gestresst.
Angeblich kann man nichts tun, soll aber irgendwie doch so viel. Sporteln könnte man immer. Da sind Live-Insta-Stories und Livestreams, in denen man in Echtzeit gequält wird. Youtube stillt den Bewegungshunger 24/7. Aber joggen sollte man auch noch, weil frische Luft und so.
Wer Glück hat, arbeitet noch normal. Ich zum Beispiel. Weil Lesen wollen die Leute immer. Also schreibe ich. Acht Stunden am Tag. Abends bin ich Quarantäne-bedingt völlig erschöpft, weil allein konzentrierter. Dann ist da noch der Haushalt. Und die kleinen Quadrate, die sich neuerdings erwartungsvoll auf dem Bildschirm in der Zoom-App drängeln. Aus denen lächeln die wackeligen Köpfe von Freunden und Familie, die mit Weinglas in den untätigen Händen wissen wollen, wie es geht.
Wo zum Teufel ist die ruhige Zeit geblieben, von der alle reden?
Ich beschwere mich nicht, es ist schön, dass man zusammen durch diese Sache will, einander unterstützt. Aber dass total wenig los ist, das ist gelogen. Zumindest aus der Sicht von einer, die sich auf diese Me-Time ohne Pläne, Dates und Verpflichtungen gefreut hat. Sie sind ja doch da, einfach in virtueller Form.
Wir zählen die zweite Woche des Lockdowns, des Socials Distancings, und plötzlich wollen alle telefonieren. Jetzt schon? Was, wenn ich nicht will? Wenn ich lieber netflixe, lese oder Perlen auffädle anstatt zu reden? Wie sage ich bitte einigermassen charmant, dass ich keine Lust habe? Das zuzugeben, wäre unfreundlich. Aber Ausreden hat man ja heutzutage auch keine. Mir ist da durchaus schon stossartig der Schweiss ausgebrochen. So eine spontane Skype-Anfrage ist, als ob jemand unerwartet an der Tür klingelt. Und weiss, dass man da ist.
Letztens rief eine sehr gute Freundin an. Ich sah ihren Namen auf dem Display, fühlte mich bedrängt, unter Druck gesetzt und dachte: «Lasst mich bitte einfach alle mal in Ruhe!» Dabei wollte die sich sicher lediglich nach meinem Befinden erkundigen – allein in der Isolation. Soll für manche ja ein Problem sein. Ich fühlte mich schlecht, ging aber trotzdem nicht ran.
Kann ich bitte noch ein bisschen alleiner sein?
Die Leute klagen über Kater. Weil sie sich nun im Internet statt in Bars zu Drinks verabreden, Geburtstage feiern, Apéros zünden, Spiele spielen. Zusammen ist man weniger allein, das Sozialleben besteht weiter – wenn auch mit unsichtbaren Clouds zwischen den Teilnehmern. Es ist ein sozialer und physischer Hangover. Und damit einhergehend: überfüllte Zoom- und Skype-Kalender. Man ist allein und wünscht sich doch ein bisschen mehr Zeit für sich.
Was ist denn nun mit dem Entschleunigen, von dem so oft die Rede war? Der Haushalt wird irgendwie auch nicht weniger und jetzt, wo man immer zu Hause ist, hat man die Baustellen direkt vor der Nase. Den Frühlingsputz soll man machen, sagen alle. Ausmisten. Den Kühlschrank wischen. Am Sonntag habe ich rein gar nichts gemacht und hatte ein schlechtes Gewissen, weil andere die Fenster geputzt haben. Und unter der Woche! Nach Arbeit, frischer Luft, dem Sportprogramm und dem selbstgekochten Essen stünde da eigentlich noch die Wäsche. Die starrt mich an und nennt mich leise «faul – und das jetzt, wo du eh nichts zu tun hast». Aber es stimmt ja eben gar nicht, wir haben doch zu tun!
Isolation ist Stress pur
Ich bin ja selber schuld, ich bin dezent unentspannt und, was Video-Chats angeht, äusserst asozial. Immer hängt und stockt da irgendwas, immer ist einer zu leise – es ist wie mit der Wohnung, die immer wieder dreckig wird. Lästig. Aber muss denn immer alles glatt laufen und steril sein? Die Welt ist es ja offensichtlich auch nicht. Vielleicht ist es ok, wenn der Kühlschrank erst in Woche Drei blitzt und blinkt? Wenn die Wäsche erst übermorgen in den Schrank geräumt wird? Weil dann das Virus schliesslich immer noch wütet.
Zeit zu haben und sich dennoch getrieben fühlen – das ist eine ziemlich hartnäckige Baustelle. Das ist wie seinen schlimmen Kater zu hassen und dennoch ständig zu saufen. Kenn ich auch. Vielleicht ist jetzt der optimale Zeitpunkt, endlich zu kapieren, dass es kein Richtig und kein Falsch gibt. Weil kein Alkohol auch keine Lösung ist. Nein Scherz. Aber wir können erkennen, dass Sachen langsam angegangen werden dürfen. To-Do-Listen sollen ruhig existieren, müssen aber nicht zackig erfüllt werden. Es muss nichts geleistet werden. Man muss den Tag nicht zupflastern. Der Brunch, die Ausflüge und Parties müssen nicht gezwungenermassen durch ausschweifende Back-Orgien, Putz-Pläusche und feuchtfröhliche Zoom-Dates ersetzt werden.
Sondern: Warum nicht einfach mal durch den Tag, das Wochenende floaten? Im eigenen Tempo. Wer weiss schon noch, was das eigene Tempo überhaupt ist? Urlaub machen von der FOMO, vom Müssen oder dem vermeintlichen Wollen. Das Universum winkt da grad ziemlich penetrant mit dem Zaunpfahl. Für Stress ist nämlich erst mal keine Zeit. Und ich, ich werde jetzt locker. Und geh das nächste Mal ans Telefon. ☎️❤️