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Zwischen Produktion und Überproduktion

Schweizer Modebrands im Dilemma der Nachhaltigkeit

Lokale Produktion, recycelte Materialen, multifunktionelle, zeitlose Designs – und trotzdem sollten Konsument*innen allgemein weniger shoppen. Alles der Umwelt zuliebe. Drei junge Schweizer Brands erzählen, wie sie den Spagat zwischen Nachhaltigkeit und Konsumwahn meistern.

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Collective Swallow, Palmagente und Nina Yuun Zalando Sustainability Awards

Die drei Schweizer Brands Palmagente, Collective Swallow und Nina Yuun (v.l.n.r.) kämpfen mit und für Nachhaltigkeit.

ZVG

Für die diesjährigen Zalando Sustainability Awards an der Copenhagen Fashion Week können Brands ihre Konzepte einreichen, die zeigen, inwiefern sie sich für nachhaltige Mode einsetzen. Mithilfe des neuen TALENT-Programms der Swiss Fashion Association (SFA) haben dies auch die Schweizer Modelabels Collective Swallow, Palmagente und Nina Yuun getan. Doch wie schafft man es in einer Welt, die schon längst im Überfluss lebt und in der Kleidung en masse existiert, überhaupt noch nachhaltig zu sein? Wir haben bei den drei Designerinnen nachgefragt.

Mit der Mode ist es wie mit dem Brotbacken

«Mode ist etwas Sinnliches», sagt Anaïs Marti (34), Inhaberin und Designerin von Collective Swallow. Für die Kreationen des 2015 gegründeten Labels lässt sie sich vom Geschmackssinn, genauer gesagt von Esswaren, inspirieren. Die letzte Kollektion handelte von Brot, denn zwischen dem traditionellen Schweizer Gebäck wie etwa dem Zopf und der Modeindustrie, gäbe es viele Parallelen. «Brot braucht viel Liebe und Zeit in der Herstellung, der Teig muss aufgehen, alles muss stimmig sein – genau wie ein gutes Design und die Materialsuche bei Kleidern», erklärt Anaïs Marti. Und: «Brot wird in der Schweiz absolut überproduziert, vieles muss weggeschmissen werden.» Auch das sei auf die Mode übertragbar.

«Die Kund*innen sind viel offener als das System»

Das Collective Swallow produziert seit Tag eins saisonunabhängige Mode im Slow Fashion-Modus. Heisst: Pro Jahr erscheint nur eine einzige Kollektion. Ihre Ressourcen setzen sie sorgfältig und mit viel Liebe fürs Handwerk ein – und produzieren jedes Stück komplett gender-neutral. «Das stiess zu Beginn in Mailand und Paris auf Widerstand», erzählt Marti. Viele Käufer*innen hätten es unverständlich gefunden, dass Frau und Mann das gleiche Hosenmodell tragen können. «Aber die Kund*innen fanden das super. Sie sind viel offener als das System.»

Zu dieser Erkenntnis ist auch Olena Vacher (35) gekommen. Sie ist Bademode-Designerin des 2020 gegründeten Brands Palmagente. «Kund*innen lieben es, wenn sie sich mit unseren Teilen nach ihrem eigenen Geschmack ausleben können», erzählt sie stolz. Um das zu ermöglichen, hat Palmagente multifunktionale Bikinis kreiert, die teilweise auf rund zehn verschiedene Arten und gar auch als herkömmliches Top getragen werden können (siehe Instagram-Post unten). Und: Sämtliche Unterteile sind mit allen Oberteilen kombinierbar. Die Idee dahinter: Hat eine Kundin einen Bikini gekauft, den sie auf so viele Arten kombinieren kann, braucht sie weniger Bikinis und wird ihn länger tragen. «Bei der Entwicklung der Designs stehen deshalb Langlebigkeit und Zeitlosigkeit im Fokus», erklärt Vacher. 

Lokale Produktion steht im Fokus … oder?

Palmagente arbeitet mit führenden Schweizer Textilproduzenten zusammen. Dazu gehört beispielsweise Jakob Schläpfer in St. Gallen, wo das junge Label in einem internen Entwicklungsatelier eigene Paillettenapplikationen kreierte. «Wir haben ein einzigartiges Muster erschaffen, das es nirgendwo auf der Welt gibt – und das alles Inland», erklärt Vacher. Ihre Liste von lokalen Produktionsstätten sei lang. Die Grundstoffe werden aus Italien von zwei nachhaltigen Textilproduzenten importiert, bei denen Vacher schon zu Besuch war. Der Rest sei Schweiz pur.

Anders sieht es beim Modebrand Nina Yuun aus. Die gleichnamige Inhaberin (33) stammt aus Südkorea und lässt ihre Schweizer Designs bei diverse Kleinproduzenten in Seoul anfertigen. Für ihre Kollektionen holt sie sich bei alten, koreanischen Techniken Inspiration und kombiniert diese mit modernen Upcycling-Projekten, beispielsweise für Patchwork-Teile. «Für den Charakter meines Labels ist die Produktionsweise von Korea durchaus wichtig», erklärt Yuun. Ist eine Kollektion in Seoul produziert worden, würden anschliessend alle Teile auf einmal in die Schweiz geschickt.

Laut Nina Yuun sei sie mit diesem Import durchaus umweltfreundlicher als viele europäische Labels, die ausschliesslich in Europa produzieren. Der Grund? Wenn ein Label sein Studio in der Schweiz hat, seine Designs beispielsweise in Ungarn produziert, diese dann in die Schweiz importiert und dann weltweit zu den Grosshändlern verschickt, sei der Transportweg durchaus länger. «Ich will deshalb meine Designs direkt von Korea zu den europäischen Händlern liefern lassen.»

Mehr Wertschätzung, weniger Waste

Nina Yuuns Prototypen, die sie in der Schweiz anfertigt, sowie die Teile aus Korea werden nach dem Zero-Waste-Prinzip hergestellt. Es sollen also möglichst wenig – oder am besten gar keine – Stoffreste anfallen. Yuun erklärt: «Ich arbeite mit recycelten Materialien und versuche übrige Stoffe aus früheren Kollektionen in die neuen einzubauen.» Um auch für kleine Überreste einen Nutzen zu finden, wird Nina Yuun bald auch Babykleidung lancieren. Letztes Jahr kam ihr Sohn Bada (koreanisch für «Meer») zur Welt und seither hat sie bereits einiges an Babysachen aus Stoffresten gefertigt. «Die Kollektion wird deshalb seinen Namen tragen.»

Auch Anaïs Marti von Collective Swallow achtet auf die Reduktion von Überresten. Dennoch seien junge Designer*innen in einem Dilemma: «Einerseits ist Mode meine Leidenschaft und ich will neue Stücke produzieren, andererseits leben wir in einer Welt, in der es bereits viel zu viele Teile gibt.» Die Lösung sieht sie im Recycling – und der Transparenz. Kund*innen können auf den Tags ihrer Klamotten sämtliche Informationen zum Herstellungsprozess nachlesen. Marti erhofft sich, dass dadurch bewusstere Kaufentscheide gefällt werden. «Wir wollen zeigen, was alles in einem einzelnen Kleidungsstück drinsteckt und damit das Verständnis für dessen Wert stärken.»

Mehr Wertschätzung für die lokale Produktion wünscht sich auch Olena Vacher von Palmagente. Auch sie hat Produktinformationen auf die Tags ihrer Bikinis schreiben lassen und weist auf einen nachhaltigen Umgang mit der Bademode hin. Schlussendlich seien dies nur kleine Schritte für eine grosse Mission, aber Vacher hofft auf die Unterstützung der Schweizer Kundschaft. Dies sei wichtig, damit weltweit der Konsum bewusster wird und sich kleine, lokale Brands die Schweizer Arbeitsverhältnisse und Produktionen überhaupt leisten könnten. Denn: «Wir wollen ja Neues, Besseres und Schönes kreieren, aber nicht auf Kosten der Umwelt», sagt sie. «Deshalb müssen Kund*innen bewusst Prioritäten setzen und auch mal in teure, dafür aber auch langlebige und zeitlose Teile aus der Schweiz investieren.»

Modelabels können bis am 4. Mai 2021 ihre Konzepte für den Zalando Sustainability Award einreichen. Das Gewinner-Label wird auf der Copenhagen Fashion Week bekannt gegeben, erhält 20.000 Euro Preisgeld und entwickelt mit Zalando eine Kapselkollektion. Weitere Informationen findet ihr hier >

Von Lara Zehnder am 3. Mai 2021 - 12:00 Uhr